geben. Ich wollte darnach greifen; er aber zog zurück und sagte: "Du mußt erst wissen, daß sie nicht für dich sind. Du sollst sie den drey schönsten jungen Leuten von der Stadt geben, welche sodann, jeder nach sei¬ nem Loose, Gattinnen finden sollen, wie sie solche nur wünschen können. Nimm, und mach deine Sachen gut!" sagte er scheidend, und gab mir die Aepfel in meine offnen Hände; sie schienen mir noch größer gewor¬ den zu seyn. Ich hielt sie darauf in die Hö¬ he, gegen das Licht, und fand sie ganz durch¬ sichtig; aber gar bald zogen sie sich aufwärts in die Länge und wurden zu drey schönen, schönen Frauenzimmerchen in mäßiger Pup¬ pengröße, deren Kleider von der Farbe der vorherigen Aepfel waren. So gleiteten sie sacht an meinen Fingern hinauf, und als ich nach ihnen haschen wollte, um wenigstens eine festzuhalten, schwebten sie schon weit in der Höhe und Ferne, daß ich nichts als das Nachsehen hatte. Ich stand ganz verwundert
geben. Ich wollte darnach greifen; er aber zog zuruͤck und ſagte: „Du mußt erſt wiſſen, daß ſie nicht fuͤr dich ſind. Du ſollſt ſie den drey ſchoͤnſten jungen Leuten von der Stadt geben, welche ſodann, jeder nach ſei¬ nem Looſe, Gattinnen finden ſollen, wie ſie ſolche nur wuͤnſchen koͤnnen. Nimm, und mach deine Sachen gut!“ ſagte er ſcheidend, und gab mir die Aepfel in meine offnen Haͤnde; ſie ſchienen mir noch groͤßer gewor¬ den zu ſeyn. Ich hielt ſie darauf in die Hoͤ¬ he, gegen das Licht, und fand ſie ganz durch¬ ſichtig; aber gar bald zogen ſie ſich aufwaͤrts in die Laͤnge und wurden zu drey ſchoͤnen, ſchoͤnen Frauenzimmerchen in maͤßiger Pup¬ pengroͤße, deren Kleider von der Farbe der vorherigen Aepfel waren. So gleiteten ſie ſacht an meinen Fingern hinauf, und als ich nach ihnen haſchen wollte, um wenigſtens eine feſtzuhalten, ſchwebten ſie ſchon weit in der Hoͤhe und Ferne, daß ich nichts als das Nachſehen hatte. Ich ſtand ganz verwundert
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0123"n="107"/>
geben. Ich wollte darnach greifen; er aber<lb/>
zog zuruͤck und ſagte: „Du mußt erſt wiſſen,<lb/>
daß ſie nicht fuͤr dich ſind. Du ſollſt ſie<lb/>
den drey ſchoͤnſten jungen Leuten von der<lb/>
Stadt geben, welche ſodann, jeder nach ſei¬<lb/>
nem Looſe, Gattinnen finden ſollen, wie ſie<lb/>ſolche nur wuͤnſchen koͤnnen. Nimm, und<lb/>
mach deine Sachen gut!“ſagte er ſcheidend,<lb/>
und gab mir die Aepfel in meine offnen<lb/>
Haͤnde; ſie ſchienen mir noch groͤßer gewor¬<lb/>
den zu ſeyn. Ich hielt ſie darauf in die Hoͤ¬<lb/>
he, gegen das Licht, und fand ſie ganz durch¬<lb/>ſichtig; aber gar bald zogen ſie ſich aufwaͤrts<lb/>
in die Laͤnge und wurden zu drey ſchoͤnen,<lb/>ſchoͤnen Frauenzimmerchen in maͤßiger Pup¬<lb/>
pengroͤße, deren Kleider von der Farbe der<lb/>
vorherigen Aepfel waren. So gleiteten ſie<lb/>ſacht an meinen Fingern hinauf, und als ich<lb/>
nach ihnen haſchen wollte, um wenigſtens<lb/>
eine feſtzuhalten, ſchwebten ſie ſchon weit in<lb/>
der Hoͤhe und Ferne, daß ich nichts als das<lb/>
Nachſehen hatte. Ich ſtand ganz verwundert<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[107/0123]
geben. Ich wollte darnach greifen; er aber
zog zuruͤck und ſagte: „Du mußt erſt wiſſen,
daß ſie nicht fuͤr dich ſind. Du ſollſt ſie
den drey ſchoͤnſten jungen Leuten von der
Stadt geben, welche ſodann, jeder nach ſei¬
nem Looſe, Gattinnen finden ſollen, wie ſie
ſolche nur wuͤnſchen koͤnnen. Nimm, und
mach deine Sachen gut!“ ſagte er ſcheidend,
und gab mir die Aepfel in meine offnen
Haͤnde; ſie ſchienen mir noch groͤßer gewor¬
den zu ſeyn. Ich hielt ſie darauf in die Hoͤ¬
he, gegen das Licht, und fand ſie ganz durch¬
ſichtig; aber gar bald zogen ſie ſich aufwaͤrts
in die Laͤnge und wurden zu drey ſchoͤnen,
ſchoͤnen Frauenzimmerchen in maͤßiger Pup¬
pengroͤße, deren Kleider von der Farbe der
vorherigen Aepfel waren. So gleiteten ſie
ſacht an meinen Fingern hinauf, und als ich
nach ihnen haſchen wollte, um wenigſtens
eine feſtzuhalten, ſchwebten ſie ſchon weit in
der Hoͤhe und Ferne, daß ich nichts als das
Nachſehen hatte. Ich ſtand ganz verwundert
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/123>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.