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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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als auf einmal zischende Wasser von allen
Seiten her, aus Steinen und Mauern, aus
Boden und Zweigen hervorsprühten, und
wo ich mich hinwendete, kreuzweise auf mich
lospeitschten. Mein leichtes Gewand war in
kurzer Zeit völlig durchnäßt; zerschlitzt war
es schon, und ich säumte nicht, es mir ganz
vom Leibe zu reißen. Die Pantoffeln warf
ich von mir, und so eine Hülle nach der an¬
dern; ja ich fand es endlich bey dem warmen
Tage sehr angenehm, ein solches Strahlbad
über mich ergehen zu lassen. Ganz nackt schritt
ich nun gravitätisch zwischen diesen willkommen
Gewässern einher, und dachte mich lange so
wohl befinden zu können. Mein Zorn verkühlte
sich, und ich wünschte nichts mehr als eine
Versöhnung mit meiner kleinen Gegnerinn.
Doch in einem Nu schnappten die Wasser ab,
und ich stand nun feucht auf einem durchnäßten
Boden. Die Gegenwart des alten Mannes,
der unvermuthet vor mich trat, war mir kei¬
neswegs willkommen; ich hätte gewünscht, mich

als auf einmal ziſchende Waſſer von allen
Seiten her, aus Steinen und Mauern, aus
Boden und Zweigen hervorſpruͤhten, und
wo ich mich hinwendete, kreuzweiſe auf mich
lospeitſchten. Mein leichtes Gewand war in
kurzer Zeit voͤllig durchnaͤßt; zerſchlitzt war
es ſchon, und ich ſaͤumte nicht, es mir ganz
vom Leibe zu reißen. Die Pantoffeln warf
ich von mir, und ſo eine Huͤlle nach der an¬
dern; ja ich fand es endlich bey dem warmen
Tage ſehr angenehm, ein ſolches Strahlbad
uͤber mich ergehen zu laſſen. Ganz nackt ſchritt
ich nun gravitaͤtiſch zwiſchen dieſen willkommen
Gewaͤſſern einher, und dachte mich lange ſo
wohl befinden zu koͤnnen. Mein Zorn verkuͤhlte
ſich, und ich wuͤnſchte nichts mehr als eine
Verſoͤhnung mit meiner kleinen Gegnerinn.
Doch in einem Nu ſchnappten die Waſſer ab,
und ich ſtand nun feucht auf einem durchnaͤßten
Boden. Die Gegenwart des alten Mannes,
der unvermuthet vor mich trat, war mir kei¬
neswegs willkommen; ich haͤtte gewuͤnſcht, mich

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[133/0149] als auf einmal ziſchende Waſſer von allen Seiten her, aus Steinen und Mauern, aus Boden und Zweigen hervorſpruͤhten, und wo ich mich hinwendete, kreuzweiſe auf mich lospeitſchten. Mein leichtes Gewand war in kurzer Zeit voͤllig durchnaͤßt; zerſchlitzt war es ſchon, und ich ſaͤumte nicht, es mir ganz vom Leibe zu reißen. Die Pantoffeln warf ich von mir, und ſo eine Huͤlle nach der an¬ dern; ja ich fand es endlich bey dem warmen Tage ſehr angenehm, ein ſolches Strahlbad uͤber mich ergehen zu laſſen. Ganz nackt ſchritt ich nun gravitaͤtiſch zwiſchen dieſen willkommen Gewaͤſſern einher, und dachte mich lange ſo wohl befinden zu koͤnnen. Mein Zorn verkuͤhlte ſich, und ich wuͤnſchte nichts mehr als eine Verſoͤhnung mit meiner kleinen Gegnerinn. Doch in einem Nu ſchnappten die Waſſer ab, und ich ſtand nun feucht auf einem durchnaͤßten Boden. Die Gegenwart des alten Mannes, der unvermuthet vor mich trat, war mir kei¬ neswegs willkommen; ich haͤtte gewuͤnſcht, mich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/149>, abgerufen am 21.11.2024.