Unter die Uebungen des Stoicismus, den ich deshalb so ernstlich als es einem Knaben möglich ist, bey mir ausbildete, gehörten auch die Duldungen körperlicher Leiden. Unsere Lehrer behandelten uns oft sehr unfreundlich und ungeschickt mit Schlägen und Püffen, gegen die wir uns um so mehr verhärteten, als Widersetzlichkeit oder Gegenwirkung aufs höchste verpönt war. Sehr viele Scherze der Jugend beruhen auf einem Wettstreit solcher Ertragungen: zum Beyspiel, wenn man mit zwey Fingern oder der ganzen Hand sich wechselsweise bis zur Betäubung der Glie¬ der schlägt, oder die bey gewissen Spielen verschuldeten Schläge mit mehr oder weniger Gesetztheit aushält; wenn man sich beym Ringen und Balgen durch die Kniffe der Halbüberwundenen nicht irre machen läßt; wenn man einen aus Neckerey zugefügten Schmerz unterdrückt, ja selbst das Zwicken und Kitzeln, womit junge Leute so geschäftig gegen einander sind, als etwas Gleichgültiges
Unter die Uebungen des Stoicismus, den ich deshalb ſo ernſtlich als es einem Knaben moͤglich iſt, bey mir ausbildete, gehoͤrten auch die Duldungen koͤrperlicher Leiden. Unſere Lehrer behandelten uns oft ſehr unfreundlich und ungeſchickt mit Schlaͤgen und Puͤffen, gegen die wir uns um ſo mehr verhaͤrteten, als Widerſetzlichkeit oder Gegenwirkung aufs hoͤchſte verpoͤnt war. Sehr viele Scherze der Jugend beruhen auf einem Wettſtreit ſolcher Ertragungen: zum Beyſpiel, wenn man mit zwey Fingern oder der ganzen Hand ſich wechſelsweiſe bis zur Betaͤubung der Glie¬ der ſchlaͤgt, oder die bey gewiſſen Spielen verſchuldeten Schlaͤge mit mehr oder weniger Geſetztheit aushaͤlt; wenn man ſich beym Ringen und Balgen durch die Kniffe der Halbuͤberwundenen nicht irre machen laͤßt; wenn man einen aus Neckerey zugefuͤgten Schmerz unterdruͤckt, ja ſelbſt das Zwicken und Kitzeln, womit junge Leute ſo geſchaͤftig gegen einander ſind, als etwas Gleichguͤltiges
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Unter die Uebungen des Stoicismus, den
ich deshalb ſo ernſtlich als es einem Knaben
moͤglich iſt, bey mir ausbildete, gehoͤrten auch
die Duldungen koͤrperlicher Leiden. Unſere
Lehrer behandelten uns oft ſehr unfreundlich
und ungeſchickt mit Schlaͤgen und Puͤffen,
gegen die wir uns um ſo mehr verhaͤrteten,
als Widerſetzlichkeit oder Gegenwirkung aufs
hoͤchſte verpoͤnt war. Sehr viele Scherze
der Jugend beruhen auf einem Wettſtreit
ſolcher Ertragungen: zum Beyſpiel, wenn
man mit zwey Fingern oder der ganzen Hand
ſich wechſelsweiſe bis zur Betaͤubung der Glie¬
der ſchlaͤgt, oder die bey gewiſſen Spielen
verſchuldeten Schlaͤge mit mehr oder weniger
Geſetztheit aushaͤlt; wenn man ſich beym
Ringen und Balgen durch die Kniffe der
Halbuͤberwundenen nicht irre machen laͤßt;
wenn man einen aus Neckerey zugefuͤgten
Schmerz unterdruͤckt, ja ſelbſt das Zwicken
und Kitzeln, womit junge Leute ſo geſchaͤftig
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/157>, abgerufen am 17.05.2024.
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