Mannes, und jener gute Bürger habe sich willig finden lassen, äußerlich Vaterstelle zu vertreten. Sie hatten die Unverschämtheit allerley Argumente vorzubringen, z. B. daß unser Vermögen blos von der Großmutter herrühre, daß die übrigen Seitenverwandten, die sich in Friedberg und sonst aufhielten, gleichfalls ohne Vermögen seyen, und was noch andre solche Gründe waren, die ihr Gewicht blos von der Bosheit hernehmen konnten. Ich hörte ihnen ruhiger zu als sie erwarteten, denn sie standen schon auf dem Sprung zu entfliehen, wenn ich Miene machte, nach ihren Haaren zu greifen. Aber ich versetzte ganz gelassen: auch dieses könne mir recht seyn. Das Leben sey so hübsch, daß man völlig für gleichgültig achten könne, wem man es zu verdanken habe: denn es schriebe sich doch zuletzt von Gott her, vor welchem wir alle gleich wären. So ließen sie, da sie nichts ausrichten konnten, die Sache für dießmal gut seyn; man spielte zu¬
Mannes, und jener gute Buͤrger habe ſich willig finden laſſen, aͤußerlich Vaterſtelle zu vertreten. Sie hatten die Unverſchaͤmtheit allerley Argumente vorzubringen, z. B. daß unſer Vermoͤgen blos von der Großmutter herruͤhre, daß die uͤbrigen Seitenverwandten, die ſich in Friedberg und ſonſt aufhielten, gleichfalls ohne Vermoͤgen ſeyen, und was noch andre ſolche Gruͤnde waren, die ihr Gewicht blos von der Bosheit hernehmen konnten. Ich hoͤrte ihnen ruhiger zu als ſie erwarteten, denn ſie ſtanden ſchon auf dem Sprung zu entfliehen, wenn ich Miene machte, nach ihren Haaren zu greifen. Aber ich verſetzte ganz gelaſſen: auch dieſes koͤnne mir recht ſeyn. Das Leben ſey ſo huͤbſch, daß man voͤllig fuͤr gleichguͤltig achten koͤnne, wem man es zu verdanken habe: denn es ſchriebe ſich doch zuletzt von Gott her, vor welchem wir alle gleich waͤren. So ließen ſie, da ſie nichts ausrichten konnten, die Sache fuͤr dießmal gut ſeyn; man ſpielte zu¬
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Mannes, und jener gute Buͤrger habe ſich
willig finden laſſen, aͤußerlich Vaterſtelle zu
vertreten. Sie hatten die Unverſchaͤmtheit
allerley Argumente vorzubringen, z. B. daß
unſer Vermoͤgen blos von der Großmutter
herruͤhre, daß die uͤbrigen Seitenverwandten,
die ſich in Friedberg und ſonſt aufhielten,
gleichfalls ohne Vermoͤgen ſeyen, und was
noch andre ſolche Gruͤnde waren, die ihr
Gewicht blos von der Bosheit hernehmen
konnten. Ich hoͤrte ihnen ruhiger zu als ſie
erwarteten, denn ſie ſtanden ſchon auf dem
Sprung zu entfliehen, wenn ich Miene
machte, nach ihren Haaren zu greifen. Aber
ich verſetzte ganz gelaſſen: auch dieſes koͤnne
mir recht ſeyn. Das Leben ſey ſo huͤbſch,
daß man voͤllig fuͤr gleichguͤltig achten koͤnne,
wem man es zu verdanken habe: denn es
ſchriebe ſich doch zuletzt von Gott her, vor
welchem wir alle gleich waͤren. So ließen
ſie, da ſie nichts ausrichten konnten, die
Sache fuͤr dießmal gut ſeyn; man ſpielte zu¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/166>, abgerufen am 24.11.2024.
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