können die kleinen Geschöpfe, die vor uns herum wandeln, nicht anders als mit Ver¬ gnügen, ja mit Bewunderung ansehen: denn meist versprechen sie mehr als sie halten, und es scheint als wenn die Natur unter andern schelmischen Streichen, die sie uns spielt, auch hier sich ganz besonders vorgesetzt, uns zum Besten zu haben. Die ersten Organe, die sie Kindern mit auf die Welt giebt, sind dem nächsten unmittelbaren Zustande des Ge¬ schöpfs gemäß; es bedient sich derselben kunst- und anspruchslos, auf die geschickteste Weise zu den nächsten Zwecken. Das Kind, an und für sich betrachtet, mit seines Gleichen und in Beziehungen die seinen Kräften an¬ gemessen sind, scheint so verständig, so ver¬ nünftig, daß nichts drüber geht, und zugleich so bequem, heiter und gewandt, daß man keine weitre Bildung für dasselbe wünschen möchte. Wüchsen die Kinder in der Art fort, wie sie sich andeuten, so hätten wir lauter Genies. Aber das Wachsthum ist
koͤnnen die kleinen Geſchoͤpfe, die vor uns herum wandeln, nicht anders als mit Ver¬ gnuͤgen, ja mit Bewunderung anſehen: denn meiſt verſprechen ſie mehr als ſie halten, und es ſcheint als wenn die Natur unter andern ſchelmiſchen Streichen, die ſie uns ſpielt, auch hier ſich ganz beſonders vorgeſetzt, uns zum Beſten zu haben. Die erſten Organe, die ſie Kindern mit auf die Welt giebt, ſind dem naͤchſten unmittelbaren Zuſtande des Ge¬ ſchoͤpfs gemaͤß; es bedient ſich derſelben kunſt- und anſpruchslos, auf die geſchickteſte Weiſe zu den naͤchſten Zwecken. Das Kind, an und fuͤr ſich betrachtet, mit ſeines Gleichen und in Beziehungen die ſeinen Kraͤften an¬ gemeſſen ſind, ſcheint ſo verſtaͤndig, ſo ver¬ nuͤnftig, daß nichts druͤber geht, und zugleich ſo bequem, heiter und gewandt, daß man keine weitre Bildung fuͤr daſſelbe wuͤnſchen moͤchte. Wuͤchſen die Kinder in der Art fort, wie ſie ſich andeuten, ſo haͤtten wir lauter Genies. Aber das Wachsthum iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0171"n="155"/>
koͤnnen die kleinen Geſchoͤpfe, die vor uns<lb/>
herum wandeln, nicht anders als mit Ver¬<lb/>
gnuͤgen, ja mit Bewunderung anſehen: denn<lb/>
meiſt verſprechen ſie mehr als ſie halten, und<lb/>
es ſcheint als wenn die Natur unter andern<lb/>ſchelmiſchen Streichen, die ſie uns ſpielt,<lb/>
auch hier ſich ganz beſonders vorgeſetzt, uns<lb/>
zum Beſten zu haben. Die erſten Organe,<lb/>
die ſie Kindern mit auf die Welt giebt, ſind<lb/>
dem naͤchſten unmittelbaren Zuſtande des Ge¬<lb/>ſchoͤpfs gemaͤß; es bedient ſich derſelben kunſt-<lb/>
und anſpruchslos, auf die geſchickteſte Weiſe<lb/>
zu den naͤchſten Zwecken. Das Kind, an<lb/>
und fuͤr ſich betrachtet, mit ſeines Gleichen<lb/>
und in Beziehungen die ſeinen Kraͤften an¬<lb/>
gemeſſen ſind, ſcheint ſo verſtaͤndig, ſo ver¬<lb/>
nuͤnftig, daß nichts druͤber geht, und zugleich<lb/>ſo bequem, heiter und gewandt, daß man<lb/>
keine weitre Bildung fuͤr daſſelbe wuͤnſchen<lb/>
moͤchte. Wuͤchſen die Kinder in der Art<lb/>
fort, wie ſie ſich andeuten, ſo haͤtten wir<lb/>
lauter Genies. Aber das Wachsthum iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[155/0171]
koͤnnen die kleinen Geſchoͤpfe, die vor uns
herum wandeln, nicht anders als mit Ver¬
gnuͤgen, ja mit Bewunderung anſehen: denn
meiſt verſprechen ſie mehr als ſie halten, und
es ſcheint als wenn die Natur unter andern
ſchelmiſchen Streichen, die ſie uns ſpielt,
auch hier ſich ganz beſonders vorgeſetzt, uns
zum Beſten zu haben. Die erſten Organe,
die ſie Kindern mit auf die Welt giebt, ſind
dem naͤchſten unmittelbaren Zuſtande des Ge¬
ſchoͤpfs gemaͤß; es bedient ſich derſelben kunſt-
und anſpruchslos, auf die geſchickteſte Weiſe
zu den naͤchſten Zwecken. Das Kind, an
und fuͤr ſich betrachtet, mit ſeines Gleichen
und in Beziehungen die ſeinen Kraͤften an¬
gemeſſen ſind, ſcheint ſo verſtaͤndig, ſo ver¬
nuͤnftig, daß nichts druͤber geht, und zugleich
ſo bequem, heiter und gewandt, daß man
keine weitre Bildung fuͤr daſſelbe wuͤnſchen
moͤchte. Wuͤchſen die Kinder in der Art
fort, wie ſie ſich andeuten, ſo haͤtten wir
lauter Genies. Aber das Wachsthum iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/171>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.