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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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mals irgend eine Stelle anzunehmen, und
um es unmöglich zu machen, verschaffte er sich
den Character eines kaiserlichen Rathes, den
der Schultheiß und die ältesten Schöffen
als einen besondern Ehrentitel tragen. Da¬
durch hatte er sich zum Gleichen der Obersten
gemacht und konnte nicht mehr von unten
anfangen. Derselbe Beweggrund führte ihn
auch dazu, um die älteste Tochter des Schult¬
heißen zu werben, wodurch er auch auf die¬
ser Seite von dem Rathe ausgeschlossen ward.
Er gehörte nun unter die Zurückgezogenen,
welche niemals unter sich eine Societät ma¬
chen. Sie stehen so isolirt gegen einander
wie gegen das Ganze, und um so mehr, als
sich in dieser Abgeschiedenheit das Eigenthüm¬
liche der Character immer schroffer ausbil¬
det. Mein Vater mochte sich auf Reisen
und in der freyen Welt, die er gesehen, von
einer elegantern und liberalern Lebensweise
einen Begriff gemacht haben, als sie viel¬
leicht unter seinen Mitbürgern gewöhnlich

mals irgend eine Stelle anzunehmen, und
um es unmoͤglich zu machen, verſchaffte er ſich
den Character eines kaiſerlichen Rathes, den
der Schultheiß und die aͤlteſten Schoͤffen
als einen beſondern Ehrentitel tragen. Da¬
durch hatte er ſich zum Gleichen der Oberſten
gemacht und konnte nicht mehr von unten
anfangen. Derſelbe Beweggrund fuͤhrte ihn
auch dazu, um die aͤlteſte Tochter des Schult¬
heißen zu werben, wodurch er auch auf die¬
ſer Seite von dem Rathe ausgeſchloſſen ward.
Er gehoͤrte nun unter die Zuruͤckgezogenen,
welche niemals unter ſich eine Societaͤt ma¬
chen. Sie ſtehen ſo iſolirt gegen einander
wie gegen das Ganze, und um ſo mehr, als
ſich in dieſer Abgeſchiedenheit das Eigenthuͤm¬
liche der Character immer ſchroffer ausbil¬
det. Mein Vater mochte ſich auf Reiſen
und in der freyen Welt, die er geſehen, von
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[160/0176] mals irgend eine Stelle anzunehmen, und um es unmoͤglich zu machen, verſchaffte er ſich den Character eines kaiſerlichen Rathes, den der Schultheiß und die aͤlteſten Schoͤffen als einen beſondern Ehrentitel tragen. Da¬ durch hatte er ſich zum Gleichen der Oberſten gemacht und konnte nicht mehr von unten anfangen. Derſelbe Beweggrund fuͤhrte ihn auch dazu, um die aͤlteſte Tochter des Schult¬ heißen zu werben, wodurch er auch auf die¬ ſer Seite von dem Rathe ausgeſchloſſen ward. Er gehoͤrte nun unter die Zuruͤckgezogenen, welche niemals unter ſich eine Societaͤt ma¬ chen. Sie ſtehen ſo iſolirt gegen einander wie gegen das Ganze, und um ſo mehr, als ſich in dieſer Abgeſchiedenheit das Eigenthuͤm¬ liche der Character immer ſchroffer ausbil¬ det. Mein Vater mochte ſich auf Reiſen und in der freyen Welt, die er geſehen, von einer elegantern und liberalern Lebensweiſe einen Begriff gemacht haben, als ſie viel¬ leicht unter ſeinen Mitbuͤrgern gewoͤhnlich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/176>, abgerufen am 21.11.2024.