begegnen konnte. Wäre es ihm jedoch mög¬ lich gewesen, die Sache leichter zu nehmen, da er gut französisch sprach, und im Leben sich wohl mit Würde und Anmuth betragen konnte; so hätte er sich und uns manche trübe Stunde ersparen mögen: denn man quartierte bey uns den Königs-Lieutenant, der, obgleich Militärperson, doch nur die Civilvorfälle, die Streitigkeiten zwischen Sol¬ daten und Bürgern, Schuldensachen und Händel zu schlichten hatte. Es war Graf Thorane von Grasse in der Provence, ohnweit Antibes, gebürtig, eine lange hagre ernste Gestalt, das Gesicht durch die Blat¬ tern sehr entstellt, mit schwarzen feurigen Augen, und von einem würdigen zusammen¬ genommenen Betragen. Gleich sein Eintritt war für den Hausbewohner günstig. Man sprach von den verschiedenen Zimmern, welche theils abgegeben werden, theils der Familie verbleiben sollten, und als der Graf ein Gemäldezimmer erwähnen hörte, so erbat er
begegnen konnte. Waͤre es ihm jedoch moͤg¬ lich geweſen, die Sache leichter zu nehmen, da er gut franzoͤſiſch ſprach, und im Leben ſich wohl mit Wuͤrde und Anmuth betragen konnte; ſo haͤtte er ſich und uns manche truͤbe Stunde erſparen moͤgen: denn man quartierte bey uns den Koͤnigs-Lieutenant, der, obgleich Militaͤrperſon, doch nur die Civilvorfaͤlle, die Streitigkeiten zwiſchen Sol¬ daten und Buͤrgern, Schuldenſachen und Haͤndel zu ſchlichten hatte. Es war Graf Thorane von Graſſe in der Provence, ohnweit Antibes, gebuͤrtig, eine lange hagre ernſte Geſtalt, das Geſicht durch die Blat¬ tern ſehr entſtellt, mit ſchwarzen feurigen Augen, und von einem wuͤrdigen zuſammen¬ genommenen Betragen. Gleich ſein Eintritt war fuͤr den Hausbewohner guͤnſtig. Man ſprach von den verſchiedenen Zimmern, welche theils abgegeben werden, theils der Familie verbleiben ſollten, und als der Graf ein Gemaͤldezimmer erwaͤhnen hoͤrte, ſo erbat er
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0203"n="187"/>
begegnen konnte. Waͤre es ihm jedoch moͤg¬<lb/>
lich geweſen, die Sache leichter zu nehmen,<lb/>
da er gut franzoͤſiſch ſprach, und im Leben<lb/>ſich wohl mit Wuͤrde und Anmuth betragen<lb/>
konnte; ſo haͤtte er ſich und uns manche<lb/>
truͤbe Stunde erſparen moͤgen: denn man<lb/>
quartierte bey uns den Koͤnigs-Lieutenant,<lb/>
der, obgleich Militaͤrperſon, doch nur die<lb/>
Civilvorfaͤlle, die Streitigkeiten zwiſchen Sol¬<lb/>
daten und Buͤrgern, Schuldenſachen und<lb/>
Haͤndel zu ſchlichten hatte. Es war Graf<lb/><hirendition="#g">Thorane</hi> von Graſſe in der Provence,<lb/>
ohnweit Antibes, gebuͤrtig, eine lange hagre<lb/>
ernſte Geſtalt, das Geſicht durch die Blat¬<lb/>
tern ſehr entſtellt, mit ſchwarzen feurigen<lb/>
Augen, und von einem wuͤrdigen zuſammen¬<lb/>
genommenen Betragen. Gleich ſein Eintritt<lb/>
war fuͤr den Hausbewohner guͤnſtig. Man<lb/>ſprach von den verſchiedenen Zimmern, welche<lb/>
theils abgegeben werden, theils der Familie<lb/>
verbleiben ſollten, und als der Graf ein<lb/>
Gemaͤldezimmer erwaͤhnen hoͤrte, ſo erbat er<lb/></p></div></body></text></TEI>
[187/0203]
begegnen konnte. Waͤre es ihm jedoch moͤg¬
lich geweſen, die Sache leichter zu nehmen,
da er gut franzoͤſiſch ſprach, und im Leben
ſich wohl mit Wuͤrde und Anmuth betragen
konnte; ſo haͤtte er ſich und uns manche
truͤbe Stunde erſparen moͤgen: denn man
quartierte bey uns den Koͤnigs-Lieutenant,
der, obgleich Militaͤrperſon, doch nur die
Civilvorfaͤlle, die Streitigkeiten zwiſchen Sol¬
daten und Buͤrgern, Schuldenſachen und
Haͤndel zu ſchlichten hatte. Es war Graf
Thorane von Graſſe in der Provence,
ohnweit Antibes, gebuͤrtig, eine lange hagre
ernſte Geſtalt, das Geſicht durch die Blat¬
tern ſehr entſtellt, mit ſchwarzen feurigen
Augen, und von einem wuͤrdigen zuſammen¬
genommenen Betragen. Gleich ſein Eintritt
war fuͤr den Hausbewohner guͤnſtig. Man
ſprach von den verſchiedenen Zimmern, welche
theils abgegeben werden, theils der Familie
verbleiben ſollten, und als der Graf ein
Gemaͤldezimmer erwaͤhnen hoͤrte, ſo erbat er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/203>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.