do, nahm Besitz von gedachter Wache, zog die Zeile hinunter, und nach einem gerin¬ gen Widerstand mußte sich auch die Haupt¬ wache ergeben. Augenblicks waren die fried¬ lichen Straßen in einen Kriegsschauplatz ver¬ wandelt. Dort verharrten und bivouakirten die Truppen, bis durch regelmäßige Einquar¬ tierung für ihr Unterkommen gesorgt wäre.
Diese unerwartete, seit vielen Jahren un¬ erhörte Last drückte die behaglichen Bürger gewaltig, und Niemanden konnte sie beschwer¬ licher seyn als dem Vater, der in sein kaum vollendetes Haus fremde militärische Bewoh¬ ner aufnehmen, ihnen seine wohlaufgeputzten und meist verschlossenen Staatszimmer ein¬ räumen, und das was er so genau zu ordnen und zu regieren pflegte, fremder Willkühr Preis geben sollte; er, ohnehin preußisch gesinnt, sollte sich nun von Franzosen in sei¬ nen Zimmern belagert sehen: es war das Traurigste was ihm nach seiner Denkweise
do, nahm Beſitz von gedachter Wache, zog die Zeile hinunter, und nach einem gerin¬ gen Widerſtand mußte ſich auch die Haupt¬ wache ergeben. Augenblicks waren die fried¬ lichen Straßen in einen Kriegsſchauplatz ver¬ wandelt. Dort verharrten und bivouakirten die Truppen, bis durch regelmaͤßige Einquar¬ tierung fuͤr ihr Unterkommen geſorgt waͤre.
Dieſe unerwartete, ſeit vielen Jahren un¬ erhoͤrte Laſt druͤckte die behaglichen Buͤrger gewaltig, und Niemanden konnte ſie beſchwer¬ licher ſeyn als dem Vater, der in ſein kaum vollendetes Haus fremde militaͤriſche Bewoh¬ ner aufnehmen, ihnen ſeine wohlaufgeputzten und meiſt verſchloſſenen Staatszimmer ein¬ raͤumen, und das was er ſo genau zu ordnen und zu regieren pflegte, fremder Willkuͤhr Preis geben ſollte; er, ohnehin preußiſch geſinnt, ſollte ſich nun von Franzoſen in ſei¬ nen Zimmern belagert ſehen: es war das Traurigſte was ihm nach ſeiner Denkweiſe
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[186/0202]
do, nahm Beſitz von gedachter Wache, zog
die Zeile hinunter, und nach einem gerin¬
gen Widerſtand mußte ſich auch die Haupt¬
wache ergeben. Augenblicks waren die fried¬
lichen Straßen in einen Kriegsſchauplatz ver¬
wandelt. Dort verharrten und bivouakirten
die Truppen, bis durch regelmaͤßige Einquar¬
tierung fuͤr ihr Unterkommen geſorgt waͤre.
Dieſe unerwartete, ſeit vielen Jahren un¬
erhoͤrte Laſt druͤckte die behaglichen Buͤrger
gewaltig, und Niemanden konnte ſie beſchwer¬
licher ſeyn als dem Vater, der in ſein kaum
vollendetes Haus fremde militaͤriſche Bewoh¬
ner aufnehmen, ihnen ſeine wohlaufgeputzten
und meiſt verſchloſſenen Staatszimmer ein¬
raͤumen, und das was er ſo genau zu ordnen
und zu regieren pflegte, fremder Willkuͤhr
Preis geben ſollte; er, ohnehin preußiſch
geſinnt, ſollte ſich nun von Franzoſen in ſei¬
nen Zimmern belagert ſehen: es war das
Traurigſte was ihm nach ſeiner Denkweiſe
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/202>, abgerufen am 28.11.2024.
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