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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Meine Mutter besaß einige Kenntniß des
Italiänischen, welche Sprache überhaupt Nie¬
manden von der Familie fremd war: sie ent¬
schloß sich daher sogleich Französisch zu ler¬
nen, zu welchem Zweck der Dolmetscher, dem
sie unter diesen stürmischen Ereignissen ein
Kind aus der Taufe gehoben hatte, und der
nun auch als Gevatter zu dem Hause eine
doppelte Neigung spürte, seiner Gevatterinn
jeden abgemüßigten Augenblick schenkte (denn
er wohnte gerade gegenüber) und ihr vor
allen Dingen diejenigen Phrasen einlernte,
welche sie persönlich dem Grafen vorzutragen
habe; welches denn zum besten gerieth. Der
Graf war geschmeichelt von der Mühe, welche
die Hausfrau sich in ihren Jahren gab, und
weil er einen heitern geistreichen Zug in sei¬
nem Character hatte, auch eine gewisse trockne
Galanterie gern ausübte; so entstand daraus
das beste Verhältniß, und die verbündeten
Gevattern konnten erlangen was sie wollten.

Meine Mutter beſaß einige Kenntniß des
Italiaͤniſchen, welche Sprache uͤberhaupt Nie¬
manden von der Familie fremd war: ſie ent¬
ſchloß ſich daher ſogleich Franzoͤſiſch zu ler¬
nen, zu welchem Zweck der Dolmetſcher, dem
ſie unter dieſen ſtuͤrmiſchen Ereigniſſen ein
Kind aus der Taufe gehoben hatte, und der
nun auch als Gevatter zu dem Hauſe eine
doppelte Neigung ſpuͤrte, ſeiner Gevatterinn
jeden abgemuͤßigten Augenblick ſchenkte (denn
er wohnte gerade gegenuͤber) und ihr vor
allen Dingen diejenigen Phraſen einlernte,
welche ſie perſoͤnlich dem Grafen vorzutragen
habe; welches denn zum beſten gerieth. Der
Graf war geſchmeichelt von der Muͤhe, welche
die Hausfrau ſich in ihren Jahren gab, und
weil er einen heitern geiſtreichen Zug in ſei¬
nem Character hatte, auch eine gewiſſe trockne
Galanterie gern ausuͤbte; ſo entſtand daraus
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[191/0207] Meine Mutter beſaß einige Kenntniß des Italiaͤniſchen, welche Sprache uͤberhaupt Nie¬ manden von der Familie fremd war: ſie ent¬ ſchloß ſich daher ſogleich Franzoͤſiſch zu ler¬ nen, zu welchem Zweck der Dolmetſcher, dem ſie unter dieſen ſtuͤrmiſchen Ereigniſſen ein Kind aus der Taufe gehoben hatte, und der nun auch als Gevatter zu dem Hauſe eine doppelte Neigung ſpuͤrte, ſeiner Gevatterinn jeden abgemuͤßigten Augenblick ſchenkte (denn er wohnte gerade gegenuͤber) und ihr vor allen Dingen diejenigen Phraſen einlernte, welche ſie perſoͤnlich dem Grafen vorzutragen habe; welches denn zum beſten gerieth. Der Graf war geſchmeichelt von der Muͤhe, welche die Hausfrau ſich in ihren Jahren gab, und weil er einen heitern geiſtreichen Zug in ſei¬ nem Character hatte, auch eine gewiſſe trockne Galanterie gern ausuͤbte; ſo entſtand daraus das beſte Verhaͤltniß, und die verbuͤndeten Gevattern konnten erlangen was ſie wollten.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/207>, abgerufen am 28.11.2024.