Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

zu uns, der zum Theater gehörte, und den
ich in manchen kleinen Rollen, obwohl nur
beyläufig, gesehen hatte. Mit mir konnte er
sich am besten verständigen, indem ich mein
Französisch bey ihm geltend zu machen wußte;
und er knüpfte sich um so mehr an mich,
als kein Knabe seines Alters und seiner Na¬
tion beym Theater oder sonst in der Nähe
war. Wir gingen auch außer der Theater¬
zeit zusammen, und selbst während der Vor¬
stellungen ließ er mich selten in Ruhe. Er
war ein allerliebster kleiner Aufschneider,
schwätzte charmant und unaufhörlich, und
wußte so viel von seinen Abenteuern, Hän¬
deln und andern Sonderbarkeiten zu erzählen,
daß er mich außerordentlich unterhielt, und
ich von ihm, was Sprache und Mittheilung
durch dieselbe betrifft, in vier Wochen mehr
lernte, als man sich hätte vorstellen können;
so daß Niemand wußte, wie ich auf einmal,
gleichsam durch Inspiration, zu der fremden
Sprache gelangt war.

zu uns, der zum Theater gehoͤrte, und den
ich in manchen kleinen Rollen, obwohl nur
beylaͤufig, geſehen hatte. Mit mir konnte er
ſich am beſten verſtaͤndigen, indem ich mein
Franzoͤſiſch bey ihm geltend zu machen wußte;
und er knuͤpfte ſich um ſo mehr an mich,
als kein Knabe ſeines Alters und ſeiner Na¬
tion beym Theater oder ſonſt in der Naͤhe
war. Wir gingen auch außer der Theater¬
zeit zuſammen, und ſelbſt waͤhrend der Vor¬
ſtellungen ließ er mich ſelten in Ruhe. Er
war ein allerliebſter kleiner Aufſchneider,
ſchwaͤtzte charmant und unaufhoͤrlich, und
wußte ſo viel von ſeinen Abenteuern, Haͤn¬
deln und andern Sonderbarkeiten zu erzaͤhlen,
daß er mich außerordentlich unterhielt, und
ich von ihm, was Sprache und Mittheilung
durch dieſelbe betrifft, in vier Wochen mehr
lernte, als man ſich haͤtte vorſtellen koͤnnen;
ſo daß Niemand wußte, wie ich auf einmal,
gleichſam durch Inſpiration, zu der fremden
Sprache gelangt war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0222" n="206"/>
zu uns, der zum Theater geho&#x0364;rte, und den<lb/>
ich in manchen kleinen Rollen, obwohl nur<lb/>
beyla&#x0364;ufig, ge&#x017F;ehen hatte. Mit mir konnte er<lb/>
&#x017F;ich am be&#x017F;ten ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen, indem ich mein<lb/>
Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch bey ihm geltend zu machen wußte;<lb/>
und er knu&#x0364;pfte &#x017F;ich um &#x017F;o mehr an mich,<lb/>
als kein Knabe &#x017F;eines Alters und &#x017F;einer Na¬<lb/>
tion beym Theater oder &#x017F;on&#x017F;t in der Na&#x0364;he<lb/>
war. Wir gingen auch außer der Theater¬<lb/>
zeit zu&#x017F;ammen, und &#x017F;elb&#x017F;t wa&#x0364;hrend der Vor¬<lb/>
&#x017F;tellungen ließ er mich &#x017F;elten in Ruhe. Er<lb/>
war ein allerlieb&#x017F;ter kleiner Auf&#x017F;chneider,<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;tzte charmant und unaufho&#x0364;rlich, und<lb/>
wußte &#x017F;o viel von &#x017F;einen Abenteuern, Ha&#x0364;<lb/>
deln und andern Sonderbarkeiten zu erza&#x0364;hlen,<lb/>
daß er mich außerordentlich unterhielt, und<lb/>
ich von ihm, was Sprache und Mittheilung<lb/>
durch die&#x017F;elbe betrifft, in vier Wochen mehr<lb/>
lernte, als man &#x017F;ich ha&#x0364;tte vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen;<lb/>
&#x017F;o daß Niemand wußte, wie ich auf einmal,<lb/>
gleich&#x017F;am durch In&#x017F;piration, zu der fremden<lb/>
Sprache gelangt war.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0222] zu uns, der zum Theater gehoͤrte, und den ich in manchen kleinen Rollen, obwohl nur beylaͤufig, geſehen hatte. Mit mir konnte er ſich am beſten verſtaͤndigen, indem ich mein Franzoͤſiſch bey ihm geltend zu machen wußte; und er knuͤpfte ſich um ſo mehr an mich, als kein Knabe ſeines Alters und ſeiner Na¬ tion beym Theater oder ſonſt in der Naͤhe war. Wir gingen auch außer der Theater¬ zeit zuſammen, und ſelbſt waͤhrend der Vor¬ ſtellungen ließ er mich ſelten in Ruhe. Er war ein allerliebſter kleiner Aufſchneider, ſchwaͤtzte charmant und unaufhoͤrlich, und wußte ſo viel von ſeinen Abenteuern, Haͤn¬ deln und andern Sonderbarkeiten zu erzaͤhlen, daß er mich außerordentlich unterhielt, und ich von ihm, was Sprache und Mittheilung durch dieſelbe betrifft, in vier Wochen mehr lernte, als man ſich haͤtte vorſtellen koͤnnen; ſo daß Niemand wußte, wie ich auf einmal, gleichſam durch Inſpiration, zu der fremden Sprache gelangt war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/222
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/222>, abgerufen am 27.11.2024.