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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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in umgewandtem Schlafrock und also für uns
verkleidet genug, der Vater in den Weg und
schreckte uns in unsere Ruhestätte zurück. Die
daraus entspringende üble Wirkung denkt sich
Jedermann. Wie soll derjenige die Furcht los
werden, den man zwischen ein doppeltes Furcht¬
bare einklemmt? Meine Mutter, stets heiter und
froh, und andern das Gleiche gönnend, erfand
eine bessere pädagogische Auskunft. Sie wu߬
te ihren Zweck durch Belohnungen zu erreichen.
Es war die Zeit der Pfirschen, deren reichlichen
Genuß sie uns jeden Morgen versprach, wenn
wir Nachts die Furcht überwunden hätten. Es
gelang, und beyde Theile waren zufrieden.

Innerhalb des Hauses zog meinen Blick
am meisten eine Reihe römischer Prospecte
auf sich, mit welchen der Vater einen Vor¬
saal ausgeschmückt hatte, gestochen von eini¬
gen geschickten Vorgängern des Piranese,
die sich auf Architectur und Perspective wohl
verstanden, und deren Nadel sehr deutlich

in umgewandtem Schlafrock und alſo fuͤr uns
verkleidet genug, der Vater in den Weg und
ſchreckte uns in unſere Ruheſtaͤtte zuruͤck. Die
daraus entſpringende uͤble Wirkung denkt ſich
Jedermann. Wie ſoll derjenige die Furcht los
werden, den man zwiſchen ein doppeltes Furcht¬
bare einklemmt? Meine Mutter, ſtets heiter und
froh, und andern das Gleiche goͤnnend, erfand
eine beſſere paͤdagogiſche Auskunft. Sie wu߬
te ihren Zweck durch Belohnungen zu erreichen.
Es war die Zeit der Pfirſchen, deren reichlichen
Genuß ſie uns jeden Morgen verſprach, wenn
wir Nachts die Furcht uͤberwunden haͤtten. Es
gelang, und beyde Theile waren zufrieden.

Innerhalb des Hauſes zog meinen Blick
am meiſten eine Reihe roͤmiſcher Proſpecte
auf ſich, mit welchen der Vater einen Vor¬
ſaal ausgeſchmuͤckt hatte, geſtochen von eini¬
gen geſchickten Vorgaͤngern des Piraneſe,
die ſich auf Architectur und Perſpective wohl
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[12/0028] in umgewandtem Schlafrock und alſo fuͤr uns verkleidet genug, der Vater in den Weg und ſchreckte uns in unſere Ruheſtaͤtte zuruͤck. Die daraus entſpringende uͤble Wirkung denkt ſich Jedermann. Wie ſoll derjenige die Furcht los werden, den man zwiſchen ein doppeltes Furcht¬ bare einklemmt? Meine Mutter, ſtets heiter und froh, und andern das Gleiche goͤnnend, erfand eine beſſere paͤdagogiſche Auskunft. Sie wu߬ te ihren Zweck durch Belohnungen zu erreichen. Es war die Zeit der Pfirſchen, deren reichlichen Genuß ſie uns jeden Morgen verſprach, wenn wir Nachts die Furcht uͤberwunden haͤtten. Es gelang, und beyde Theile waren zufrieden. Innerhalb des Hauſes zog meinen Blick am meiſten eine Reihe roͤmiſcher Proſpecte auf ſich, mit welchen der Vater einen Vor¬ ſaal ausgeſchmuͤckt hatte, geſtochen von eini¬ gen geſchickten Vorgaͤngern des Piraneſe, die ſich auf Architectur und Perſpective wohl verſtanden, und deren Nadel ſehr deutlich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/28>, abgerufen am 30.04.2024.