niemals mit dem Bedürfniß im Gleichgewicht erhalten, bringt unversehens eine Hungers¬ noth hervor, und der Eingewanderte leidet mit dem Einheimischen, dem er durch seine zufällige Gegenwart die eigne Nahrung ver¬ kümmert hat. Die beyden chaldäischen Brü¬ der ziehen nach Aegypten, und so ist uns der Schauplatz vorgezeichnet, auf dem einige tausend Jahre die bedeutendsten Begebenhei¬ ten der Welt vorgehen sollten. Vom Tigris zum Euphrat, vom Euphrat zum Nil sehen wir die Erde bevölkert, und in diesem Raume einen bekannten, den Göttern geliebten, uns schon werth gewordnen Mann mit Heerden und Gütern hin und wieder ziehen und sie in kurzer Zeit aufs reichlichste vermehren. Die Brüder kommen zurück; allein gewitzigt durch die ausgestandene Noth, fassen sie den Entschluß sich von einander zu trennen. Beyde verweilen zwar im mittägigen Canaan; aber indem Abraham zu Hebron gegen dem Hain Mamre bleibt, zieht sich Lot nach dem Thale
I. 20
niemals mit dem Beduͤrfniß im Gleichgewicht erhalten, bringt unverſehens eine Hungers¬ noth hervor, und der Eingewanderte leidet mit dem Einheimiſchen, dem er durch ſeine zufaͤllige Gegenwart die eigne Nahrung ver¬ kuͤmmert hat. Die beyden chaldaͤiſchen Bruͤ¬ der ziehen nach Aegypten, und ſo iſt uns der Schauplatz vorgezeichnet, auf dem einige tauſend Jahre die bedeutendſten Begebenhei¬ ten der Welt vorgehen ſollten. Vom Tigris zum Euphrat, vom Euphrat zum Nil ſehen wir die Erde bevoͤlkert, und in dieſem Raume einen bekannten, den Goͤttern geliebten, uns ſchon werth gewordnen Mann mit Heerden und Guͤtern hin und wieder ziehen und ſie in kurzer Zeit aufs reichlichſte vermehren. Die Bruͤder kommen zuruͤck; allein gewitzigt durch die ausgeſtandene Noth, faſſen ſie den Entſchluß ſich von einander zu trennen. Beyde verweilen zwar im mittaͤgigen Canaan; aber indem Abraham zu Hebron gegen dem Hain Mamre bleibt, zieht ſich Lot nach dem Thale
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niemals mit dem Beduͤrfniß im Gleichgewicht
erhalten, bringt unverſehens eine Hungers¬
noth hervor, und der Eingewanderte leidet
mit dem Einheimiſchen, dem er durch ſeine
zufaͤllige Gegenwart die eigne Nahrung ver¬
kuͤmmert hat. Die beyden chaldaͤiſchen Bruͤ¬
der ziehen nach Aegypten, und ſo iſt uns
der Schauplatz vorgezeichnet, auf dem einige
tauſend Jahre die bedeutendſten Begebenhei¬
ten der Welt vorgehen ſollten. Vom Tigris
zum Euphrat, vom Euphrat zum Nil ſehen
wir die Erde bevoͤlkert, und in dieſem Raume
einen bekannten, den Goͤttern geliebten, uns
ſchon werth gewordnen Mann mit Heerden
und Guͤtern hin und wieder ziehen und ſie
in kurzer Zeit aufs reichlichſte vermehren.
Die Bruͤder kommen zuruͤck; allein gewitzigt
durch die ausgeſtandene Noth, faſſen ſie den
Entſchluß ſich von einander zu trennen. Beyde
verweilen zwar im mittaͤgigen Canaan; aber
indem Abraham zu Hebron gegen dem Hain
Mamre bleibt, zieht ſich Lot nach dem Thale
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/321>, abgerufen am 26.11.2024.
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