Ehen der Erzväter zu eignen Betrachtungen Anlaß. Es ist als ob die Gottheiten, welche das Schicksal der Menschen zu leiten beliebten, die ehelichen Ereignisse jeder Art hier gleich¬ sam im Vorbilde hätten darstellen wollen. Abraham, so lange Jahre mit einer schönen, von Vielen umworbenen Frau in kinderloser Ehe, findet sich in seinem hundertsten als Gatte zweyer Frauen, als Vater zweyer Söhne, und in diesem Augenblick ist sein Hausfriede gestört. Zwey Frauen neben einan¬ der, so wie zwey Söhne von zwey Müttern gegen einander über, vertragen sich unmöglich. Derjenige Theil, der durch Gesetze, Herkom¬ men und Meynung weniger begünstigt ist, muß weichen. Abraham muß die Neigung zu Hagar, zu Ismael aufopfern; beyde wer¬ den entlassen und Hagar genöthigt, den Weg, den sie auf einer freywilligen Flucht einge¬ schlagen, nunmehr wider Willen anzutreten, anfangs, wie es scheint, zu des Kindes und ihrem Untergang; aber der Engel des Herrn,
Ehen der Erzvaͤter zu eignen Betrachtungen Anlaß. Es iſt als ob die Gottheiten, welche das Schickſal der Menſchen zu leiten beliebten, die ehelichen Ereigniſſe jeder Art hier gleich¬ ſam im Vorbilde haͤtten darſtellen wollen. Abraham, ſo lange Jahre mit einer ſchoͤnen, von Vielen umworbenen Frau in kinderloſer Ehe, findet ſich in ſeinem hundertſten als Gatte zweyer Frauen, als Vater zweyer Soͤhne, und in dieſem Augenblick iſt ſein Hausfriede geſtoͤrt. Zwey Frauen neben einan¬ der, ſo wie zwey Soͤhne von zwey Muͤttern gegen einander uͤber, vertragen ſich unmoͤglich. Derjenige Theil, der durch Geſetze, Herkom¬ men und Meynung weniger beguͤnſtigt iſt, muß weichen. Abraham muß die Neigung zu Hagar, zu Ismael aufopfern; beyde wer¬ den entlaſſen und Hagar genoͤthigt, den Weg, den ſie auf einer freywilligen Flucht einge¬ ſchlagen, nunmehr wider Willen anzutreten, anfangs, wie es ſcheint, zu des Kindes und ihrem Untergang; aber der Engel des Herrn,
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Ehen der Erzvaͤter zu eignen Betrachtungen
Anlaß. Es iſt als ob die Gottheiten, welche
das Schickſal der Menſchen zu leiten beliebten,
die ehelichen Ereigniſſe jeder Art hier gleich¬
ſam im Vorbilde haͤtten darſtellen wollen.
Abraham, ſo lange Jahre mit einer ſchoͤnen,
von Vielen umworbenen Frau in kinderloſer
Ehe, findet ſich in ſeinem hundertſten als
Gatte zweyer Frauen, als Vater zweyer
Soͤhne, und in dieſem Augenblick iſt ſein
Hausfriede geſtoͤrt. Zwey Frauen neben einan¬
der, ſo wie zwey Soͤhne von zwey Muͤttern
gegen einander uͤber, vertragen ſich unmoͤglich.
Derjenige Theil, der durch Geſetze, Herkom¬
men und Meynung weniger beguͤnſtigt iſt,
muß weichen. Abraham muß die Neigung
zu Hagar, zu Ismael aufopfern; beyde wer¬
den entlaſſen und Hagar genoͤthigt, den Weg,
den ſie auf einer freywilligen Flucht einge¬
ſchlagen, nunmehr wider Willen anzutreten,
anfangs, wie es ſcheint, zu des Kindes und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/327>, abgerufen am 27.11.2024.
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