vergegenwärtigte mir alle Begebenheiten bis ins kleinste Detail, und erzählte sie mir der Reihe nach auf das genauste.
Was mir diese Arbeit sehr erleichterte, war ein Umstand, der dieses Werk und über¬ haupt meine Autorschaft höchst voluminös zu machen drohte. Ein junger Mann von vie¬ len Fähigkeiten, der aber durch Anstrengung und Dünkel blödsinnig geworden war, wohnte als Mündel in meines Vaters Hause, lebte ruhig mit der Familie und war sehr still und in sich gekehrt, und wenn man ihn auf seine gewohnte Weise verfahren ließ, zufrieden und gefällig. Dieser hatte seine academischen Hefte mit großer Sorgfalt geschrieben, und sich eine flüchtige leserliche Hand erworben. Er beschäftigte sich am liebsten mit Schreiben, und sah es gern, wenn man ihm etwas zu copiren gab; noch lieber aber, wenn man ihm dictirte, weil er sich alsdann in seine glücklichen academischen Jahre versetzt fühlte.
vergegenwaͤrtigte mir alle Begebenheiten bis ins kleinſte Detail, und erzaͤhlte ſie mir der Reihe nach auf das genauſte.
Was mir dieſe Arbeit ſehr erleichterte, war ein Umſtand, der dieſes Werk und uͤber¬ haupt meine Autorſchaft hoͤchſt voluminoͤs zu machen drohte. Ein junger Mann von vie¬ len Faͤhigkeiten, der aber durch Anſtrengung und Duͤnkel bloͤdſinnig geworden war, wohnte als Muͤndel in meines Vaters Hauſe, lebte ruhig mit der Familie und war ſehr ſtill und in ſich gekehrt, und wenn man ihn auf ſeine gewohnte Weiſe verfahren ließ, zufrieden und gefaͤllig. Dieſer hatte ſeine academiſchen Hefte mit großer Sorgfalt geſchrieben, und ſich eine fluͤchtige leſerliche Hand erworben. Er beſchaͤftigte ſich am liebſten mit Schreiben, und ſah es gern, wenn man ihm etwas zu copiren gab; noch lieber aber, wenn man ihm dictirte, weil er ſich alsdann in ſeine gluͤcklichen academiſchen Jahre verſetzt fuͤhlte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0347"n="331"/>
vergegenwaͤrtigte mir alle Begebenheiten bis<lb/>
ins kleinſte Detail, und erzaͤhlte ſie mir der<lb/>
Reihe nach auf das genauſte.</p><lb/><p>Was mir dieſe Arbeit ſehr erleichterte,<lb/>
war ein Umſtand, der dieſes Werk und uͤber¬<lb/>
haupt meine Autorſchaft hoͤchſt voluminoͤs zu<lb/>
machen drohte. Ein junger Mann von vie¬<lb/>
len Faͤhigkeiten, der aber durch Anſtrengung<lb/>
und Duͤnkel bloͤdſinnig geworden war, wohnte<lb/>
als Muͤndel in meines Vaters Hauſe, lebte<lb/>
ruhig mit der Familie und war ſehr ſtill und<lb/>
in ſich gekehrt, und wenn man ihn auf ſeine<lb/>
gewohnte Weiſe verfahren ließ, zufrieden und<lb/>
gefaͤllig. Dieſer hatte ſeine academiſchen<lb/>
Hefte mit großer Sorgfalt geſchrieben, und<lb/>ſich eine fluͤchtige leſerliche Hand erworben.<lb/>
Er beſchaͤftigte ſich am liebſten mit Schreiben,<lb/>
und ſah es gern, wenn man ihm etwas zu<lb/>
copiren gab; noch lieber aber, wenn man<lb/>
ihm dictirte, weil er ſich alsdann in ſeine<lb/>
gluͤcklichen academiſchen Jahre verſetzt fuͤhlte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[331/0347]
vergegenwaͤrtigte mir alle Begebenheiten bis
ins kleinſte Detail, und erzaͤhlte ſie mir der
Reihe nach auf das genauſte.
Was mir dieſe Arbeit ſehr erleichterte,
war ein Umſtand, der dieſes Werk und uͤber¬
haupt meine Autorſchaft hoͤchſt voluminoͤs zu
machen drohte. Ein junger Mann von vie¬
len Faͤhigkeiten, der aber durch Anſtrengung
und Duͤnkel bloͤdſinnig geworden war, wohnte
als Muͤndel in meines Vaters Hauſe, lebte
ruhig mit der Familie und war ſehr ſtill und
in ſich gekehrt, und wenn man ihn auf ſeine
gewohnte Weiſe verfahren ließ, zufrieden und
gefaͤllig. Dieſer hatte ſeine academiſchen
Hefte mit großer Sorgfalt geſchrieben, und
ſich eine fluͤchtige leſerliche Hand erworben.
Er beſchaͤftigte ſich am liebſten mit Schreiben,
und ſah es gern, wenn man ihm etwas zu
copiren gab; noch lieber aber, wenn man
ihm dictirte, weil er ſich alsdann in ſeine
gluͤcklichen academiſchen Jahre verſetzt fuͤhlte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/347>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.