Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

vergegenwärtigte mir alle Begebenheiten bis
ins kleinste Detail, und erzählte sie mir der
Reihe nach auf das genauste.

Was mir diese Arbeit sehr erleichterte,
war ein Umstand, der dieses Werk und über¬
haupt meine Autorschaft höchst voluminös zu
machen drohte. Ein junger Mann von vie¬
len Fähigkeiten, der aber durch Anstrengung
und Dünkel blödsinnig geworden war, wohnte
als Mündel in meines Vaters Hause, lebte
ruhig mit der Familie und war sehr still und
in sich gekehrt, und wenn man ihn auf seine
gewohnte Weise verfahren ließ, zufrieden und
gefällig. Dieser hatte seine academischen
Hefte mit großer Sorgfalt geschrieben, und
sich eine flüchtige leserliche Hand erworben.
Er beschäftigte sich am liebsten mit Schreiben,
und sah es gern, wenn man ihm etwas zu
copiren gab; noch lieber aber, wenn man
ihm dictirte, weil er sich alsdann in seine
glücklichen academischen Jahre versetzt fühlte.

vergegenwaͤrtigte mir alle Begebenheiten bis
ins kleinſte Detail, und erzaͤhlte ſie mir der
Reihe nach auf das genauſte.

Was mir dieſe Arbeit ſehr erleichterte,
war ein Umſtand, der dieſes Werk und uͤber¬
haupt meine Autorſchaft hoͤchſt voluminoͤs zu
machen drohte. Ein junger Mann von vie¬
len Faͤhigkeiten, der aber durch Anſtrengung
und Duͤnkel bloͤdſinnig geworden war, wohnte
als Muͤndel in meines Vaters Hauſe, lebte
ruhig mit der Familie und war ſehr ſtill und
in ſich gekehrt, und wenn man ihn auf ſeine
gewohnte Weiſe verfahren ließ, zufrieden und
gefaͤllig. Dieſer hatte ſeine academiſchen
Hefte mit großer Sorgfalt geſchrieben, und
ſich eine fluͤchtige leſerliche Hand erworben.
Er beſchaͤftigte ſich am liebſten mit Schreiben,
und ſah es gern, wenn man ihm etwas zu
copiren gab; noch lieber aber, wenn man
ihm dictirte, weil er ſich alsdann in ſeine
gluͤcklichen academiſchen Jahre verſetzt fuͤhlte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0347" n="331"/>
vergegenwa&#x0364;rtigte mir alle Begebenheiten bis<lb/>
ins klein&#x017F;te Detail, und erza&#x0364;hlte &#x017F;ie mir der<lb/>
Reihe nach auf das genau&#x017F;te.</p><lb/>
        <p>Was mir die&#x017F;e Arbeit &#x017F;ehr erleichterte,<lb/>
war ein Um&#x017F;tand, der die&#x017F;es Werk und u&#x0364;ber¬<lb/>
haupt meine Autor&#x017F;chaft ho&#x0364;ch&#x017F;t volumino&#x0364;s zu<lb/>
machen drohte. Ein junger Mann von vie¬<lb/>
len Fa&#x0364;higkeiten, der aber durch An&#x017F;trengung<lb/>
und Du&#x0364;nkel blo&#x0364;d&#x017F;innig geworden war, wohnte<lb/>
als Mu&#x0364;ndel in meines Vaters Hau&#x017F;e, lebte<lb/>
ruhig mit der Familie und war &#x017F;ehr &#x017F;till und<lb/>
in &#x017F;ich gekehrt, und wenn man ihn auf &#x017F;eine<lb/>
gewohnte Wei&#x017F;e verfahren ließ, zufrieden und<lb/>
gefa&#x0364;llig. Die&#x017F;er hatte &#x017F;eine academi&#x017F;chen<lb/>
Hefte mit großer Sorgfalt ge&#x017F;chrieben, und<lb/>
&#x017F;ich eine flu&#x0364;chtige le&#x017F;erliche Hand erworben.<lb/>
Er be&#x017F;cha&#x0364;ftigte &#x017F;ich am lieb&#x017F;ten mit Schreiben,<lb/>
und &#x017F;ah es gern, wenn man ihm etwas zu<lb/>
copiren gab; noch lieber aber, wenn man<lb/>
ihm dictirte, weil er &#x017F;ich alsdann in &#x017F;eine<lb/>
glu&#x0364;cklichen academi&#x017F;chen Jahre ver&#x017F;etzt fu&#x0364;hlte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0347] vergegenwaͤrtigte mir alle Begebenheiten bis ins kleinſte Detail, und erzaͤhlte ſie mir der Reihe nach auf das genauſte. Was mir dieſe Arbeit ſehr erleichterte, war ein Umſtand, der dieſes Werk und uͤber¬ haupt meine Autorſchaft hoͤchſt voluminoͤs zu machen drohte. Ein junger Mann von vie¬ len Faͤhigkeiten, der aber durch Anſtrengung und Duͤnkel bloͤdſinnig geworden war, wohnte als Muͤndel in meines Vaters Hauſe, lebte ruhig mit der Familie und war ſehr ſtill und in ſich gekehrt, und wenn man ihn auf ſeine gewohnte Weiſe verfahren ließ, zufrieden und gefaͤllig. Dieſer hatte ſeine academiſchen Hefte mit großer Sorgfalt geſchrieben, und ſich eine fluͤchtige leſerliche Hand erworben. Er beſchaͤftigte ſich am liebſten mit Schreiben, und ſah es gern, wenn man ihm etwas zu copiren gab; noch lieber aber, wenn man ihm dictirte, weil er ſich alsdann in ſeine gluͤcklichen academiſchen Jahre verſetzt fuͤhlte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/347
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/347>, abgerufen am 28.11.2024.