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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Meinem Vater, der keine expedite Hand
schrieb, und dessen deutsche Schrift klein und
zittrig war, konnte nichts erwünschter seyn,
und er pflegte daher, bey Besorgung eigner
sowohl als fremder Geschäfte, diesem jungen
Manne gewöhnlich einige Stunden des Tags
zu dictiren. Ich fand es nicht minder be¬
quem, in der Zwischenzeit alles was mir
flüchtig durch den Kopf ging von einer frem¬
den Hand auf dem Papier fixirt zu sehen,
und meine Erfindungs- und Nachahmungs¬
gabe wuchs mit der Leichtigkeit des Auffassens
und Aufbewahrens.

Ein so großes Werk als jenes biblische
prosaisch - epische Gedicht hatte ich noch nicht
unternommen. Es war eben eine ziemlich
ruhige Zeit, und nichts rief meine Einbil¬
dungskraft aus Palästina und Aegypten zu¬
rück. So quoll mein Manuskript täglich
um so mehr auf, als das Gedicht strecken¬
weise, wie ich es mir selbst gleichsam in die

Meinem Vater, der keine expedite Hand
ſchrieb, und deſſen deutſche Schrift klein und
zittrig war, konnte nichts erwuͤnſchter ſeyn,
und er pflegte daher, bey Beſorgung eigner
ſowohl als fremder Geſchaͤfte, dieſem jungen
Manne gewoͤhnlich einige Stunden des Tags
zu dictiren. Ich fand es nicht minder be¬
quem, in der Zwiſchenzeit alles was mir
fluͤchtig durch den Kopf ging von einer frem¬
den Hand auf dem Papier fixirt zu ſehen,
und meine Erfindungs- und Nachahmungs¬
gabe wuchs mit der Leichtigkeit des Auffaſſens
und Aufbewahrens.

Ein ſo großes Werk als jenes bibliſche
proſaiſch - epiſche Gedicht hatte ich noch nicht
unternommen. Es war eben eine ziemlich
ruhige Zeit, und nichts rief meine Einbil¬
dungskraft aus Palaͤſtina und Aegypten zu¬
ruͤck. So quoll mein Manuſkript taͤglich
um ſo mehr auf, als das Gedicht ſtrecken¬
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[332/0348] Meinem Vater, der keine expedite Hand ſchrieb, und deſſen deutſche Schrift klein und zittrig war, konnte nichts erwuͤnſchter ſeyn, und er pflegte daher, bey Beſorgung eigner ſowohl als fremder Geſchaͤfte, dieſem jungen Manne gewoͤhnlich einige Stunden des Tags zu dictiren. Ich fand es nicht minder be¬ quem, in der Zwiſchenzeit alles was mir fluͤchtig durch den Kopf ging von einer frem¬ den Hand auf dem Papier fixirt zu ſehen, und meine Erfindungs- und Nachahmungs¬ gabe wuchs mit der Leichtigkeit des Auffaſſens und Aufbewahrens. Ein ſo großes Werk als jenes bibliſche proſaiſch - epiſche Gedicht hatte ich noch nicht unternommen. Es war eben eine ziemlich ruhige Zeit, und nichts rief meine Einbil¬ dungskraft aus Palaͤſtina und Aegypten zu¬ ruͤck. So quoll mein Manuſkript taͤglich um ſo mehr auf, als das Gedicht ſtrecken¬ weiſe, wie ich es mir ſelbſt gleichſam in die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/348>, abgerufen am 28.11.2024.