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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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wieder, aus Furcht mein Unglück recht deut¬
lich zu erfahren und des phantastischen Trostes
zu entbehren, mit dem ich mich bis jetzt wech¬
selsweise gequält und aufgerichtet hatte.

So verbrachte ich Tag und Nacht in
großer Unruhe, in Rasen und Ermattung,
so daß ich mich zuletzt glücklich fühlte, als
eine körperliche Krankheit mit ziemlicher Hef¬
tigkeit eintrat, wobey man den Arzt zu Hülfe
rufen und darauf denken mußte, mich auf
alle Weise zu beruhigen. Man glaubte es
im Allgemeinen thun zu können, indem man
mir heilig versicherte, daß alle in jene Schuld
mehr oder weniger verwickelte mit der grö߬
ten Schonung behandelt worden, daß meine
nächsten Freunde, so gut wie ganz schuldlos,
mit einem leichten Verweise entlassen worden,
und daß Gretchen sich aus der Stadt entfernt
habe und wieder in ihre Heimat gezogen sey.
Mit dem letztern zauderte man am längsten,
und ich nahm es auch nicht zum besten auf:

wieder, aus Furcht mein Ungluͤck recht deut¬
lich zu erfahren und des phantaſtiſchen Troſtes
zu entbehren, mit dem ich mich bis jetzt wech¬
ſelsweiſe gequaͤlt und aufgerichtet hatte.

So verbrachte ich Tag und Nacht in
großer Unruhe, in Raſen und Ermattung,
ſo daß ich mich zuletzt gluͤcklich fuͤhlte, als
eine koͤrperliche Krankheit mit ziemlicher Hef¬
tigkeit eintrat, wobey man den Arzt zu Huͤlfe
rufen und darauf denken mußte, mich auf
alle Weiſe zu beruhigen. Man glaubte es
im Allgemeinen thun zu koͤnnen, indem man
mir heilig verſicherte, daß alle in jene Schuld
mehr oder weniger verwickelte mit der groͤ߬
ten Schonung behandelt worden, daß meine
naͤchſten Freunde, ſo gut wie ganz ſchuldlos,
mit einem leichten Verweiſe entlaſſen worden,
und daß Gretchen ſich aus der Stadt entfernt
habe und wieder in ihre Heimat gezogen ſey.
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und ich nahm es auch nicht zum beſten auf:

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[514/0530] wieder, aus Furcht mein Ungluͤck recht deut¬ lich zu erfahren und des phantaſtiſchen Troſtes zu entbehren, mit dem ich mich bis jetzt wech¬ ſelsweiſe gequaͤlt und aufgerichtet hatte. So verbrachte ich Tag und Nacht in großer Unruhe, in Raſen und Ermattung, ſo daß ich mich zuletzt gluͤcklich fuͤhlte, als eine koͤrperliche Krankheit mit ziemlicher Hef¬ tigkeit eintrat, wobey man den Arzt zu Huͤlfe rufen und darauf denken mußte, mich auf alle Weiſe zu beruhigen. Man glaubte es im Allgemeinen thun zu koͤnnen, indem man mir heilig verſicherte, daß alle in jene Schuld mehr oder weniger verwickelte mit der groͤ߬ ten Schonung behandelt worden, daß meine naͤchſten Freunde, ſo gut wie ganz ſchuldlos, mit einem leichten Verweiſe entlaſſen worden, und daß Gretchen ſich aus der Stadt entfernt habe und wieder in ihre Heimat gezogen ſey. Mit dem letztern zauderte man am laͤngſten, und ich nahm es auch nicht zum beſten auf:

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/530>, abgerufen am 27.11.2024.