stube, alle in schwarzen, mit goldenen Stäb¬ chen verzierten Ramen, symmetrisch angebracht. Mein Vater hatte den Grundsatz, den er öf¬ ters und sogar leidenschaftlich aussprach, daß man die lebenden Meister beschäftigen, und weniger auf die abgeschiedenen wenden solle, bey deren Schätzung sehr viel Vorurtheil mit unterlaufe. Er hatte die Vorstellung, daß es mit den Gemälden völlig wie mit den Rhein¬ weinen beschaffen sey, die wenn ihnen gleich das Alter einen vorzüglichen Werth beylege, dennoch in jedem folgenden Jahre eben so vor¬ trefflich als in den vergangenen könnten hervor¬ gebracht werden. Nach Verlauf einiger Zeit werde der neue Wein auch ein alter, eben so kostbar und vielleicht noch schmackhafter. In dieser Meynung bestätigte er sich vorzüglich durch die Bemerkung, daß mehrere alte Bilder haupt¬ sächlich dadurch für die Liebhaber einen großen Werth zu erhalten schienen, weil sie dunkler und bräuner geworden, und der harmonische Ton eines solchen Bildes öfters gerühmt wur¬
ſtube, alle in ſchwarzen, mit goldenen Staͤb¬ chen verzierten Ramen, ſymmetriſch angebracht. Mein Vater hatte den Grundſatz, den er oͤf¬ ters und ſogar leidenſchaftlich ausſprach, daß man die lebenden Meiſter beſchaͤftigen, und weniger auf die abgeſchiedenen wenden ſolle, bey deren Schaͤtzung ſehr viel Vorurtheil mit unterlaufe. Er hatte die Vorſtellung, daß es mit den Gemaͤlden voͤllig wie mit den Rhein¬ weinen beſchaffen ſey, die wenn ihnen gleich das Alter einen vorzuͤglichen Werth beylege, dennoch in jedem folgenden Jahre eben ſo vor¬ trefflich als in den vergangenen koͤnnten hervor¬ gebracht werden. Nach Verlauf einiger Zeit werde der neue Wein auch ein alter, eben ſo koſtbar und vielleicht noch ſchmackhafter. In dieſer Meynung beſtaͤtigte er ſich vorzuͤglich durch die Bemerkung, daß mehrere alte Bilder haupt¬ ſaͤchlich dadurch fuͤr die Liebhaber einen großen Werth zu erhalten ſchienen, weil ſie dunkler und braͤuner geworden, und der harmoniſche Ton eines ſolchen Bildes oͤfters geruͤhmt wur¬
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0063"n="47"/>ſtube, alle in ſchwarzen, mit goldenen Staͤb¬<lb/>
chen verzierten Ramen, ſymmetriſch angebracht.<lb/>
Mein Vater hatte den Grundſatz, den er oͤf¬<lb/>
ters und ſogar leidenſchaftlich ausſprach, daß<lb/>
man die lebenden Meiſter beſchaͤftigen, und<lb/>
weniger auf die abgeſchiedenen wenden ſolle,<lb/>
bey deren Schaͤtzung ſehr viel Vorurtheil mit<lb/>
unterlaufe. Er hatte die Vorſtellung, daß<lb/>
es mit den Gemaͤlden voͤllig wie mit den Rhein¬<lb/>
weinen beſchaffen ſey, die wenn ihnen gleich<lb/>
das Alter einen vorzuͤglichen Werth beylege,<lb/>
dennoch in jedem folgenden Jahre eben ſo vor¬<lb/>
trefflich als in den vergangenen koͤnnten hervor¬<lb/>
gebracht werden. Nach Verlauf einiger Zeit<lb/>
werde der neue Wein auch ein alter, eben ſo<lb/>
koſtbar und vielleicht noch ſchmackhafter. In<lb/>
dieſer Meynung beſtaͤtigte er ſich vorzuͤglich durch<lb/>
die Bemerkung, daß mehrere alte Bilder haupt¬<lb/>ſaͤchlich dadurch fuͤr die Liebhaber einen großen<lb/>
Werth zu erhalten ſchienen, weil ſie dunkler<lb/>
und braͤuner geworden, und der harmoniſche<lb/>
Ton eines ſolchen Bildes oͤfters geruͤhmt wur¬<lb/></p></body></text></TEI>
[47/0063]
ſtube, alle in ſchwarzen, mit goldenen Staͤb¬
chen verzierten Ramen, ſymmetriſch angebracht.
Mein Vater hatte den Grundſatz, den er oͤf¬
ters und ſogar leidenſchaftlich ausſprach, daß
man die lebenden Meiſter beſchaͤftigen, und
weniger auf die abgeſchiedenen wenden ſolle,
bey deren Schaͤtzung ſehr viel Vorurtheil mit
unterlaufe. Er hatte die Vorſtellung, daß
es mit den Gemaͤlden voͤllig wie mit den Rhein¬
weinen beſchaffen ſey, die wenn ihnen gleich
das Alter einen vorzuͤglichen Werth beylege,
dennoch in jedem folgenden Jahre eben ſo vor¬
trefflich als in den vergangenen koͤnnten hervor¬
gebracht werden. Nach Verlauf einiger Zeit
werde der neue Wein auch ein alter, eben ſo
koſtbar und vielleicht noch ſchmackhafter. In
dieſer Meynung beſtaͤtigte er ſich vorzuͤglich durch
die Bemerkung, daß mehrere alte Bilder haupt¬
ſaͤchlich dadurch fuͤr die Liebhaber einen großen
Werth zu erhalten ſchienen, weil ſie dunkler
und braͤuner geworden, und der harmoniſche
Ton eines ſolchen Bildes oͤfters geruͤhmt wur¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/63>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.