Flammen zu speyen: denn überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. Sech¬ zigtausend Menschen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zu Grunde, und der glücklichste darunter ist der zu nennen, dem keine Empfindung, keine Be¬ sinnung über das Unglück mehr gestattet ist. Die Flammen wüthen fort, und mit ihnen wü¬ thet eine Schaar sonst verborgner, oder durch dieses Ereigniß in Freyheit gesetzter Verbrecher. Die unglücklichen Uebriggebliebenen sind dem Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen blosgestellt; und so behauptet von allen Sei¬ ten die Natur ihre schrankenlose Willkühr.
Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen von diesem Vorfall sich durch große Landstrecken verbreitet; an vielen Orten waren schwächere Erschütterungen zu verspü¬ ren, an manchen Quellen, besonders den heilsamen, ein ungewöhnliches Innehalten zu bemerken gewesen: um desto größer war die
4 *
Flammen zu ſpeyen: denn uͤberall meldet ſich Rauch und Brand in den Ruinen. Sech¬ zigtauſend Menſchen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zu Grunde, und der gluͤcklichſte darunter iſt der zu nennen, dem keine Empfindung, keine Be¬ ſinnung uͤber das Ungluͤck mehr geſtattet iſt. Die Flammen wuͤthen fort, und mit ihnen wuͤ¬ thet eine Schaar ſonſt verborgner, oder durch dieſes Ereigniß in Freyheit geſetzter Verbrecher. Die ungluͤcklichen Uebriggebliebenen ſind dem Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen blosgeſtellt; und ſo behauptet von allen Sei¬ ten die Natur ihre ſchrankenloſe Willkuͤhr.
Schneller als die Nachrichten hatten ſchon Andeutungen von dieſem Vorfall ſich durch große Landſtrecken verbreitet; an vielen Orten waren ſchwaͤchere Erſchuͤtterungen zu verſpuͤ¬ ren, an manchen Quellen, beſonders den heilſamen, ein ungewoͤhnliches Innehalten zu bemerken geweſen: um deſto groͤßer war die
4 *
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0067"n="51"/>
Flammen zu ſpeyen: denn uͤberall meldet<lb/>ſich Rauch und Brand in den Ruinen. Sech¬<lb/>
zigtauſend Menſchen, einen Augenblick zuvor<lb/>
noch ruhig und behaglich, gehen mit einander<lb/>
zu Grunde, und der gluͤcklichſte darunter iſt der<lb/>
zu nennen, dem keine Empfindung, keine Be¬<lb/>ſinnung uͤber das Ungluͤck mehr geſtattet iſt.<lb/>
Die Flammen wuͤthen fort, und mit ihnen wuͤ¬<lb/>
thet eine Schaar ſonſt verborgner, oder durch<lb/>
dieſes Ereigniß in Freyheit geſetzter Verbrecher.<lb/>
Die ungluͤcklichen Uebriggebliebenen ſind dem<lb/>
Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen<lb/>
blosgeſtellt; und ſo behauptet von allen Sei¬<lb/>
ten die Natur ihre ſchrankenloſe Willkuͤhr.</p><lb/><p>Schneller als die Nachrichten hatten ſchon<lb/>
Andeutungen von dieſem Vorfall ſich durch<lb/>
große Landſtrecken verbreitet; an vielen Orten<lb/>
waren ſchwaͤchere Erſchuͤtterungen zu verſpuͤ¬<lb/>
ren, an manchen Quellen, beſonders den<lb/>
heilſamen, ein ungewoͤhnliches Innehalten zu<lb/>
bemerken geweſen: um deſto groͤßer war die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4 *<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[51/0067]
Flammen zu ſpeyen: denn uͤberall meldet
ſich Rauch und Brand in den Ruinen. Sech¬
zigtauſend Menſchen, einen Augenblick zuvor
noch ruhig und behaglich, gehen mit einander
zu Grunde, und der gluͤcklichſte darunter iſt der
zu nennen, dem keine Empfindung, keine Be¬
ſinnung uͤber das Ungluͤck mehr geſtattet iſt.
Die Flammen wuͤthen fort, und mit ihnen wuͤ¬
thet eine Schaar ſonſt verborgner, oder durch
dieſes Ereigniß in Freyheit geſetzter Verbrecher.
Die ungluͤcklichen Uebriggebliebenen ſind dem
Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen
blosgeſtellt; und ſo behauptet von allen Sei¬
ten die Natur ihre ſchrankenloſe Willkuͤhr.
Schneller als die Nachrichten hatten ſchon
Andeutungen von dieſem Vorfall ſich durch
große Landſtrecken verbreitet; an vielen Orten
waren ſchwaͤchere Erſchuͤtterungen zu verſpuͤ¬
ren, an manchen Quellen, beſonders den
heilſamen, ein ungewoͤhnliches Innehalten zu
bemerken geweſen: um deſto groͤßer war die
4 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/67>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.