Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

was in dem Begriff einer Sache lag. In
rhetorischen Dingen, Chrieen und dergleichen
that es mir Niemand zuvor, ob ich schon
wegen Sprachfehler oft hintanstehen mußte.
Solche Aufsätze waren es jedoch, die meinem
Vater besondre Freude machten, und wegen
deren er mich mit manchem, für einen Kna¬
ben bedeutenden, Geldgeschenk belohnte.

Mein Vater lehrte die Schwester in dem¬
selben Zimmer Italiänisch, wo ich den Cella¬
rius auswendig zu lernen hatte. Indem ich
nun mit meinem Pensum bald fertig war
und doch still sitzen sollte, horchte ich über
das Buch weg und faßte das Italiänische,
das mir als eine lustige Abweichung des
Lateinischen auffiel, sehr behende.

Andere Frühzeitigkeiten in Absicht auf Ge¬
dächtniß und Combination hatte ich mit jenen
Kindern gemein, die dadurch einen frühen
Ruf erlangt haben. Deshalb konnte mein

was in dem Begriff einer Sache lag. In
rhetoriſchen Dingen, Chrieen und dergleichen
that es mir Niemand zuvor, ob ich ſchon
wegen Sprachfehler oft hintanſtehen mußte.
Solche Aufſaͤtze waren es jedoch, die meinem
Vater beſondre Freude machten, und wegen
deren er mich mit manchem, fuͤr einen Kna¬
ben bedeutenden, Geldgeſchenk belohnte.

Mein Vater lehrte die Schweſter in dem¬
ſelben Zimmer Italiaͤniſch, wo ich den Cella¬
rius auswendig zu lernen hatte. Indem ich
nun mit meinem Penſum bald fertig war
und doch ſtill ſitzen ſollte, horchte ich uͤber
das Buch weg und faßte das Italiaͤniſche,
das mir als eine luſtige Abweichung des
Lateiniſchen auffiel, ſehr behende.

Andere Fruͤhzeitigkeiten in Abſicht auf Ge¬
daͤchtniß und Combination hatte ich mit jenen
Kindern gemein, die dadurch einen fruͤhen
Ruf erlangt haben. Deshalb konnte mein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0074" n="58"/>
was in dem Begriff einer Sache lag. In<lb/>
rhetori&#x017F;chen Dingen, Chrieen und dergleichen<lb/>
that es mir Niemand zuvor, ob ich &#x017F;chon<lb/>
wegen Sprachfehler oft hintan&#x017F;tehen mußte.<lb/>
Solche Auf&#x017F;a&#x0364;tze waren es jedoch, die meinem<lb/>
Vater be&#x017F;ondre Freude machten, und wegen<lb/>
deren er mich mit manchem, fu&#x0364;r einen Kna¬<lb/>
ben bedeutenden, Geldge&#x017F;chenk belohnte.</p><lb/>
      <p>Mein Vater lehrte die Schwe&#x017F;ter in dem¬<lb/>
&#x017F;elben Zimmer Italia&#x0364;ni&#x017F;ch, wo ich den Cella¬<lb/>
rius auswendig zu lernen hatte. Indem ich<lb/>
nun mit meinem Pen&#x017F;um bald fertig war<lb/>
und doch &#x017F;till &#x017F;itzen &#x017F;ollte, horchte ich u&#x0364;ber<lb/>
das Buch weg und faßte das Italia&#x0364;ni&#x017F;che,<lb/>
das mir als eine lu&#x017F;tige Abweichung des<lb/>
Lateini&#x017F;chen auffiel, &#x017F;ehr behende.</p><lb/>
      <p>Andere Fru&#x0364;hzeitigkeiten in Ab&#x017F;icht auf Ge¬<lb/>
da&#x0364;chtniß und Combination hatte ich mit jenen<lb/>
Kindern gemein, die dadurch einen fru&#x0364;hen<lb/>
Ruf erlangt haben. Deshalb konnte mein<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0074] was in dem Begriff einer Sache lag. In rhetoriſchen Dingen, Chrieen und dergleichen that es mir Niemand zuvor, ob ich ſchon wegen Sprachfehler oft hintanſtehen mußte. Solche Aufſaͤtze waren es jedoch, die meinem Vater beſondre Freude machten, und wegen deren er mich mit manchem, fuͤr einen Kna¬ ben bedeutenden, Geldgeſchenk belohnte. Mein Vater lehrte die Schweſter in dem¬ ſelben Zimmer Italiaͤniſch, wo ich den Cella¬ rius auswendig zu lernen hatte. Indem ich nun mit meinem Penſum bald fertig war und doch ſtill ſitzen ſollte, horchte ich uͤber das Buch weg und faßte das Italiaͤniſche, das mir als eine luſtige Abweichung des Lateiniſchen auffiel, ſehr behende. Andere Fruͤhzeitigkeiten in Abſicht auf Ge¬ daͤchtniß und Combination hatte ich mit jenen Kindern gemein, die dadurch einen fruͤhen Ruf erlangt haben. Deshalb konnte mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/74
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/74>, abgerufen am 21.05.2024.