einer zierlichen weiblichen Arbeit, oder im Lesen eines Buches gefiel; so fuhr jene in der Nachbarschaft umher, um sich dort ver¬ säumter Kinder anzunehmen, sie zu warten, zu kämmen und herumzutragen, wie sie es denn auch mit mir eine gute Weile so getrieben. Zur Zeit öffentlicher Feyerlichkeiten, wie bey Krönungen, war sie nicht zu Hause zu halten. Als kleines Kind schon hatte sie nach dem bey solchen Gelegenheiten ausgeworfenen Gel¬ de gehascht, und man erzählte sich: wie sie einmal eine gute Partie beysammen gehabt und solches vergnüglich in der flachen Hand beschaut, habe ihr einer dagegen geschlagen, wodurch denn die wohlerworbene Beute auf einmal verloren gegangen. Nicht weniger wußte sie sich viel damit, daß sie dem vor¬ beyfahrenden Kaiser Carl dem siebenten, wäh¬ rend eines Augenblicks, da alles Volk schwieg, auf einem Prallsteine stehend, ein heftiges Vivat in die Kutsche gerufen und ihn veran¬ laßt habe, den Hut vor ihr abzuziehen und
einer zierlichen weiblichen Arbeit, oder im Leſen eines Buches gefiel; ſo fuhr jene in der Nachbarſchaft umher, um ſich dort ver¬ ſaͤumter Kinder anzunehmen, ſie zu warten, zu kaͤmmen und herumzutragen, wie ſie es denn auch mit mir eine gute Weile ſo getrieben. Zur Zeit oͤffentlicher Feyerlichkeiten, wie bey Kroͤnungen, war ſie nicht zu Hauſe zu halten. Als kleines Kind ſchon hatte ſie nach dem bey ſolchen Gelegenheiten ausgeworfenen Gel¬ de gehaſcht, und man erzaͤhlte ſich: wie ſie einmal eine gute Partie beyſammen gehabt und ſolches vergnuͤglich in der flachen Hand beſchaut, habe ihr einer dagegen geſchlagen, wodurch denn die wohlerworbene Beute auf einmal verloren gegangen. Nicht weniger wußte ſie ſich viel damit, daß ſie dem vor¬ beyfahrenden Kaiſer Carl dem ſiebenten, waͤh¬ rend eines Augenblicks, da alles Volk ſchwieg, auf einem Prallſteine ſtehend, ein heftiges Vivat in die Kutſche gerufen und ihn veran¬ laßt habe, den Hut vor ihr abzuziehen und
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[80/0096]
einer zierlichen weiblichen Arbeit, oder im
Leſen eines Buches gefiel; ſo fuhr jene in
der Nachbarſchaft umher, um ſich dort ver¬
ſaͤumter Kinder anzunehmen, ſie zu warten,
zu kaͤmmen und herumzutragen, wie ſie es
denn auch mit mir eine gute Weile ſo getrieben.
Zur Zeit oͤffentlicher Feyerlichkeiten, wie bey
Kroͤnungen, war ſie nicht zu Hauſe zu halten.
Als kleines Kind ſchon hatte ſie nach dem
bey ſolchen Gelegenheiten ausgeworfenen Gel¬
de gehaſcht, und man erzaͤhlte ſich: wie ſie
einmal eine gute Partie beyſammen gehabt
und ſolches vergnuͤglich in der flachen Hand
beſchaut, habe ihr einer dagegen geſchlagen,
wodurch denn die wohlerworbene Beute auf
einmal verloren gegangen. Nicht weniger
wußte ſie ſich viel damit, daß ſie dem vor¬
beyfahrenden Kaiſer Carl dem ſiebenten, waͤh¬
rend eines Augenblicks, da alles Volk ſchwieg,
auf einem Prallſteine ſtehend, ein heftiges
Vivat in die Kutſche gerufen und ihn veran¬
laßt habe, den Hut vor ihr abzuziehen und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/96>, abgerufen am 21.11.2024.
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