denn offenbar die Besserung des Menschen folge, und so habe ein Gedicht das letzte Ziel erreicht, wenn es, außer allem anderen Ge¬ leisteten, noch nützlich werde. Nach diesen sämmtlichen Erfordernissen wollte man nun die verschiedenen Dichtungsarten prüfen, und die¬ jenige, welche die Natur nachahmte, sodann wunderbar und zugleich auch von sittlichem Zweck und Nutzen sey, sollte für die erste und oberste gelten. Und nach vieler Ueber¬ legung ward endlich dieser große Vorrang, mit höchster Ueberzeugung, der Aesopischen Fabel zugeschrieben.
So wunderlich uns jetzt eine solche Ab¬ leitung vorkommen mag; so hatte sich doch auf die besten Köpfe den entschiedensten Einfluß. Daß Gellert und nachher Lichtwer sich diesem Fache widmeten, daß selbst Lessing darin zu arbeiten versuchte, daß so viele An¬ dere ihr Talent dahin wendeten, spricht für das Zutrauen, welches sich diese Gattung er¬
denn offenbar die Beſſerung des Menſchen folge, und ſo habe ein Gedicht das letzte Ziel erreicht, wenn es, außer allem anderen Ge¬ leiſteten, noch nuͤtzlich werde. Nach dieſen ſaͤmmtlichen Erforderniſſen wollte man nun die verſchiedenen Dichtungsarten pruͤfen, und die¬ jenige, welche die Natur nachahmte, ſodann wunderbar und zugleich auch von ſittlichem Zweck und Nutzen ſey, ſollte fuͤr die erſte und oberſte gelten. Und nach vieler Ueber¬ legung ward endlich dieſer große Vorrang, mit hoͤchſter Ueberzeugung, der Aeſopiſchen Fabel zugeſchrieben.
So wunderlich uns jetzt eine ſolche Ab¬ leitung vorkommen mag; ſo hatte ſich doch auf die beſten Koͤpfe den entſchiedenſten Einfluß. Daß Gellert und nachher Lichtwer ſich dieſem Fache widmeten, daß ſelbſt Leſſing darin zu arbeiten verſuchte, daß ſo viele An¬ dere ihr Talent dahin wendeten, ſpricht fuͤr das Zutrauen, welches ſich dieſe Gattung er¬
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denn offenbar die Beſſerung des Menſchen
folge, und ſo habe ein Gedicht das letzte Ziel
erreicht, wenn es, außer allem anderen Ge¬
leiſteten, noch nuͤtzlich werde. Nach dieſen
ſaͤmmtlichen Erforderniſſen wollte man nun die
verſchiedenen Dichtungsarten pruͤfen, und die¬
jenige, welche die Natur nachahmte, ſodann
wunderbar und zugleich auch von ſittlichem
Zweck und Nutzen ſey, ſollte fuͤr die erſte
und oberſte gelten. Und nach vieler Ueber¬
legung ward endlich dieſer große Vorrang,
mit hoͤchſter Ueberzeugung, der Aeſopiſchen
Fabel zugeſchrieben.
So wunderlich uns jetzt eine ſolche Ab¬
leitung vorkommen mag; ſo hatte ſich doch
auf die beſten Koͤpfe den entſchiedenſten Einfluß.
Daß Gellert und nachher Lichtwer ſich
dieſem Fache widmeten, daß ſelbſt Leſſing
darin zu arbeiten verſuchte, daß ſo viele An¬
dere ihr Talent dahin wendeten, ſpricht fuͤr
das Zutrauen, welches ſich dieſe Gattung er¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/126>, abgerufen am 18.12.2024.
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