worben hatte. Theorie und Praxis wirken immer auf einander; aus den Werken kann man sehen, wie es die Menschen meynen, und aus den Meynungen voraussagen, was sie thun werden.
Doch wir dürfen unsere Schweizertheorie nicht verlassen, ohne daß ihr von uns auch Gerechtigkeit widerfahre. Bodmer, soviel er sich auch bemüht, ist theoretisch und practisch zeitlebens ein Kind geblieben. Breitinger war ein tüchtiger, gelehrter, einsichtsvoller Mann, dem, als er sich recht umsah, die sämmtlichen Erfordernisse einer Dichtung nicht entgingen, ja es läßt sich nachweisen, daß er die Mängel seiner Methode dunkel fühlen mochte. Merkwürdig ist z. B. seine Frage: ob ein gewisses beschreibendes Gedicht von Kö¬ nig auf das Lustlager August's des zweyten wirklich ein Gedicht sey? so wie die Beant¬ wortung derselben guten Sinn zeigt. Zu sei¬ ner völligen Rechtfertigung aber mag dienen,
worben hatte. Theorie und Praxis wirken immer auf einander; aus den Werken kann man ſehen, wie es die Menſchen meynen, und aus den Meynungen vorausſagen, was ſie thun werden.
Doch wir duͤrfen unſere Schweizertheorie nicht verlaſſen, ohne daß ihr von uns auch Gerechtigkeit widerfahre. Bodmer, ſoviel er ſich auch bemuͤht, iſt theoretiſch und practiſch zeitlebens ein Kind geblieben. Breitinger war ein tuͤchtiger, gelehrter, einſichtsvoller Mann, dem, als er ſich recht umſah, die ſaͤmmtlichen Erforderniſſe einer Dichtung nicht entgingen, ja es laͤßt ſich nachweiſen, daß er die Maͤngel ſeiner Methode dunkel fuͤhlen mochte. Merkwuͤrdig iſt z. B. ſeine Frage: ob ein gewiſſes beſchreibendes Gedicht von Koͤ¬ nig auf das Luſtlager Auguſt's des zweyten wirklich ein Gedicht ſey? ſo wie die Beant¬ wortung derſelben guten Sinn zeigt. Zu ſei¬ ner voͤlligen Rechtfertigung aber mag dienen,
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worben hatte. Theorie und Praxis wirken
immer auf einander; aus den Werken kann
man ſehen, wie es die Menſchen meynen,
und aus den Meynungen vorausſagen, was
ſie thun werden.
Doch wir duͤrfen unſere Schweizertheorie
nicht verlaſſen, ohne daß ihr von uns auch
Gerechtigkeit widerfahre. Bodmer, ſoviel er
ſich auch bemuͤht, iſt theoretiſch und practiſch
zeitlebens ein Kind geblieben. Breitinger
war ein tuͤchtiger, gelehrter, einſichtsvoller
Mann, dem, als er ſich recht umſah, die
ſaͤmmtlichen Erforderniſſe einer Dichtung nicht
entgingen, ja es laͤßt ſich nachweiſen, daß er
die Maͤngel ſeiner Methode dunkel fuͤhlen
mochte. Merkwuͤrdig iſt z. B. ſeine Frage:
ob ein gewiſſes beſchreibendes Gedicht von Koͤ¬
nig auf das Luſtlager Auguſt's des zweyten
wirklich ein Gedicht ſey? ſo wie die Beant¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/127>, abgerufen am 21.11.2024.
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