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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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deutete auf Ernst, Strenge und vielleicht Ei¬
gensinn. Er war gewissermaßen das Gegen¬
theil von mir, und eben dieß begründete wohl
unsere dauerhafte Freundschaft. Ich hatte die
größte Achtung für seine Talente um so mehr,
als ich gar wohl bemerkte, daß er mir in
der Sicherheit dessen, was er that und lei¬
stete, durchaus überlegen war. Die Achtung
und das Zutrauen, das ich ihm bewies, be¬
stätigten seine Neigung, und vermehrten die
Nachsicht, die er mit meinem lebhaften, fah¬
rigen und immer regsamen Wesen, im Ge¬
gensatz mit dem seinigen, haben mußte. Er
studirte die Engländer fleißig, Pope war,
wo nicht sein Muster, doch sein Augenmerk
und er hatte, im Widerstreit mit dem Ver¬
such über den Menschen
jenes Schrift¬
stellers, ein Gedicht in gleicher Form und
Silbenmaß geschrieben, welches der christli¬
chen Religion über jenen Deismus den Tri¬
umph verschaffen sollte. Aus dem großen
Vorrath von Papieren, die er bey sich führ¬

deutete auf Ernſt, Strenge und vielleicht Ei¬
genſinn. Er war gewiſſermaßen das Gegen¬
theil von mir, und eben dieß begruͤndete wohl
unſere dauerhafte Freundſchaft. Ich hatte die
groͤßte Achtung fuͤr ſeine Talente um ſo mehr,
als ich gar wohl bemerkte, daß er mir in
der Sicherheit deſſen, was er that und lei¬
ſtete, durchaus uͤberlegen war. Die Achtung
und das Zutrauen, das ich ihm bewies, be¬
ſtaͤtigten ſeine Neigung, und vermehrten die
Nachſicht, die er mit meinem lebhaften, fah¬
rigen und immer regſamen Weſen, im Ge¬
genſatz mit dem ſeinigen, haben mußte. Er
ſtudirte die Englaͤnder fleißig, Pope war,
wo nicht ſein Muſter, doch ſein Augenmerk
und er hatte, im Widerſtreit mit dem Ver¬
ſuch uͤber den Menſchen
jenes Schrift¬
ſtellers, ein Gedicht in gleicher Form und
Silbenmaß geſchrieben, welches der chriſtli¬
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[127/0135] deutete auf Ernſt, Strenge und vielleicht Ei¬ genſinn. Er war gewiſſermaßen das Gegen¬ theil von mir, und eben dieß begruͤndete wohl unſere dauerhafte Freundſchaft. Ich hatte die groͤßte Achtung fuͤr ſeine Talente um ſo mehr, als ich gar wohl bemerkte, daß er mir in der Sicherheit deſſen, was er that und lei¬ ſtete, durchaus uͤberlegen war. Die Achtung und das Zutrauen, das ich ihm bewies, be¬ ſtaͤtigten ſeine Neigung, und vermehrten die Nachſicht, die er mit meinem lebhaften, fah¬ rigen und immer regſamen Weſen, im Ge¬ genſatz mit dem ſeinigen, haben mußte. Er ſtudirte die Englaͤnder fleißig, Pope war, wo nicht ſein Muſter, doch ſein Augenmerk und er hatte, im Widerſtreit mit dem Ver¬ ſuch uͤber den Menſchen jenes Schrift¬ ſtellers, ein Gedicht in gleicher Form und Silbenmaß geſchrieben, welches der chriſtli¬ chen Religion uͤber jenen Deismus den Tri¬ umph verſchaffen ſollte. Aus dem großen Vorrath von Papieren, die er bey ſich fuͤhr¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/135>, abgerufen am 11.05.2024.