so auch in seinen Tragödien. Durch seinen Wettstreit mit den Alten, besonders dem Ta¬ citus, sieht er sich immer mehr ins Enge ge¬ nöthigt, wodurch er zuletzt unverständlich und ungenießbar wird. Gerstenberg, ein schö¬ nes aber bizarres Talent, nimmt sich auch zusammen, sein Verdienst wird geschätzt, macht aber im Ganzen wenig Freude. Gleim, weit¬ schweifig, behaglich von Natur, wird kaum Einmal concis in den Kriegsliedern. Ramm¬ ler ist eigentlich mehr Kritiker als Poet. Er fängt an was Deutsche im Lyrischen ge¬ leistet, zu sammeln. Nun findet er, daß ihm kaum Ein Gedicht völlig genug thut; er muß auslassen, redigiren, verändern, damit die Dinge nur einige Gestalt bekommen. Hierdurch macht er sich fast so viel Feinde als es Dichter und Liebhaber giebt; da sich jeder eigentlich nur an seinen Mängeln wie¬ der erkennt, und das Publicum sich eher für ein fehlerhaftes Individuelle interessirt, als für das, was nach einer allgemeinen Ge¬
ſo auch in ſeinen Tragoͤdien. Durch ſeinen Wettſtreit mit den Alten, beſonders dem Ta¬ citus, ſieht er ſich immer mehr ins Enge ge¬ noͤthigt, wodurch er zuletzt unverſtaͤndlich und ungenießbar wird. Gerſtenberg, ein ſchoͤ¬ nes aber bizarres Talent, nimmt ſich auch zuſammen, ſein Verdienſt wird geſchaͤtzt, macht aber im Ganzen wenig Freude. Gleim, weit¬ ſchweifig, behaglich von Natur, wird kaum Einmal concis in den Kriegsliedern. Ramm¬ ler iſt eigentlich mehr Kritiker als Poet. Er faͤngt an was Deutſche im Lyriſchen ge¬ leiſtet, zu ſammeln. Nun findet er, daß ihm kaum Ein Gedicht voͤllig genug thut; er muß auslaſſen, redigiren, veraͤndern, damit die Dinge nur einige Geſtalt bekommen. Hierdurch macht er ſich faſt ſo viel Feinde als es Dichter und Liebhaber giebt; da ſich jeder eigentlich nur an ſeinen Maͤngeln wie¬ der erkennt, und das Publicum ſich eher fuͤr ein fehlerhaftes Individuelle intereſſirt, als fuͤr das, was nach einer allgemeinen Ge¬
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ſo auch in ſeinen Tragoͤdien. Durch ſeinen
Wettſtreit mit den Alten, beſonders dem Ta¬
citus, ſieht er ſich immer mehr ins Enge ge¬
noͤthigt, wodurch er zuletzt unverſtaͤndlich und
ungenießbar wird. Gerſtenberg, ein ſchoͤ¬
nes aber bizarres Talent, nimmt ſich auch
zuſammen, ſein Verdienſt wird geſchaͤtzt, macht
aber im Ganzen wenig Freude. Gleim, weit¬
ſchweifig, behaglich von Natur, wird kaum
Einmal concis in den Kriegsliedern. Ramm¬
ler iſt eigentlich mehr Kritiker als Poet.
Er faͤngt an was Deutſche im Lyriſchen ge¬
leiſtet, zu ſammeln. Nun findet er, daß
ihm kaum Ein Gedicht voͤllig genug thut; er
muß auslaſſen, redigiren, veraͤndern, damit
die Dinge nur einige Geſtalt bekommen.
Hierdurch macht er ſich faſt ſo viel Feinde
als es Dichter und Liebhaber giebt; da ſich
jeder eigentlich nur an ſeinen Maͤngeln wie¬
der erkennt, und das Publicum ſich eher fuͤr
ein fehlerhaftes Individuelle intereſſirt, als
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/142>, abgerufen am 21.11.2024.
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