bogen zu Gesicht bekam, welchen mir Oeser mittheilte. Hier war es, wo ich das Antike lebendig und neu wieder zu sehen glaubte. Alles was in Wielands Genie plastisch ist, zeigte sich hier aufs vollkommenste, und da jener zur unglücklichen Nüchternheit verdamm¬ te Phanias-Timon sich zuletzt wieder mit seinem Mädchen und der Welt versöhnt, so mag man die menschenfeindliche Epoche wohl auch mit ihm durchleben. Uebrigens gab man diesen Werken sehr gern einen heiteren Widerwillen gegen erhöhte Gesinnungen zu, welche, bey leicht verfehlter Anwendung aufs Leben, öfters der Schwärmerey verdächtig werden. Man verzieh dem Autor, wenn er das, was man für wahr und ehrwürdig hielt, mit Spott verfolgte, um so eher, als er da¬ durch zu erkennen gab, daß es ihm selbst im¬ merfort zu schaffen mache.
Wie kümmerlich die Kritik solchen Arbei¬ ten damals entgegen kam, läßt sich aus den
bogen zu Geſicht bekam, welchen mir Oeſer mittheilte. Hier war es, wo ich das Antike lebendig und neu wieder zu ſehen glaubte. Alles was in Wielands Genie plaſtiſch iſt, zeigte ſich hier aufs vollkommenſte, und da jener zur ungluͤcklichen Nuͤchternheit verdamm¬ te Phanias-Timon ſich zuletzt wieder mit ſeinem Maͤdchen und der Welt verſoͤhnt, ſo mag man die menſchenfeindliche Epoche wohl auch mit ihm durchleben. Uebrigens gab man dieſen Werken ſehr gern einen heiteren Widerwillen gegen erhoͤhte Geſinnungen zu, welche, bey leicht verfehlter Anwendung aufs Leben, oͤfters der Schwaͤrmerey verdaͤchtig werden. Man verzieh dem Autor, wenn er das, was man fuͤr wahr und ehrwuͤrdig hielt, mit Spott verfolgte, um ſo eher, als er da¬ durch zu erkennen gab, daß es ihm ſelbſt im¬ merfort zu ſchaffen mache.
Wie kuͤmmerlich die Kritik ſolchen Arbei¬ ten damals entgegen kam, laͤßt ſich aus den
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bogen zu Geſicht bekam, welchen mir Oeſer
mittheilte. Hier war es, wo ich das Antike
lebendig und neu wieder zu ſehen glaubte.
Alles was in Wielands Genie plaſtiſch iſt,
zeigte ſich hier aufs vollkommenſte, und da
jener zur ungluͤcklichen Nuͤchternheit verdamm¬
te Phanias-Timon ſich zuletzt wieder mit
ſeinem Maͤdchen und der Welt verſoͤhnt, ſo
mag man die menſchenfeindliche Epoche wohl
auch mit ihm durchleben. Uebrigens gab
man dieſen Werken ſehr gern einen heiteren
Widerwillen gegen erhoͤhte Geſinnungen zu,
welche, bey leicht verfehlter Anwendung aufs
Leben, oͤfters der Schwaͤrmerey verdaͤchtig
werden. Man verzieh dem Autor, wenn er
das, was man fuͤr wahr und ehrwuͤrdig hielt,
mit Spott verfolgte, um ſo eher, als er da¬
durch zu erkennen gab, daß es ihm ſelbſt im¬
merfort zu ſchaffen mache.
Wie kuͤmmerlich die Kritik ſolchen Arbei¬
ten damals entgegen kam, laͤßt ſich aus den
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/145>, abgerufen am 21.11.2024.
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