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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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wie in der fernsten Zukunft, verhüllte Weissa¬
gungen verehren. Hierdurch entspringt ein Zu¬
sammenhang, der in der Geschichte vermißt wird,
die uns nur ein zufälliges Hin- und Wieder¬
schwanken in einem nothwendig geschlossenen
Kreise zu überliefern scheint. Doctor Crusius
gehörte zu denen, welchen der prophetische
Theil der heiligen Schriften am meisten zusag¬
te, indem er die zwey entgegengesetztesten Ei¬
genschaften des menschlichen Wesens zugleich
in Thätigkeit setzt, das Gemüth und den
Scharfsinn. Dieser Lehre hatten sich viele
Jünglinge gewidmet, und bildeten schon eine
ansehnliche Masse, die um desto mehr in die
Augen fiel, als Ernesti mit den Seinigen
das Dunkel, in welchem jene sich gefielen, nicht
aufzuhellen, sondern völlig zu vertreiben droh¬
te. Daraus entstanden Händel, Haß und
Verfolgung und manches Unannehmliche. Ich
hielt mich zur klaren Parthey und suchte mir
ihre Grundsätze und Vortheile zuzueignen, ob
ich mir gleich zu ahnden erlaubte, daß durch

wie in der fernſten Zukunft, verhuͤllte Weiſſa¬
gungen verehren. Hierdurch entſpringt ein Zu¬
ſammenhang, der in der Geſchichte vermißt wird,
die uns nur ein zufaͤlliges Hin- und Wieder¬
ſchwanken in einem nothwendig geſchloſſenen
Kreiſe zu uͤberliefern ſcheint. Doctor Cruſius
gehoͤrte zu denen, welchen der prophetiſche
Theil der heiligen Schriften am meiſten zuſag¬
te, indem er die zwey entgegengeſetzteſten Ei¬
genſchaften des menſchlichen Weſens zugleich
in Thaͤtigkeit ſetzt, das Gemuͤth und den
Scharfſinn. Dieſer Lehre hatten ſich viele
Juͤnglinge gewidmet, und bildeten ſchon eine
anſehnliche Maſſe, die um deſto mehr in die
Augen fiel, als Ernesti mit den Seinigen
das Dunkel, in welchem jene ſich gefielen, nicht
aufzuhellen, ſondern voͤllig zu vertreiben droh¬
te. Daraus entſtanden Haͤndel, Haß und
Verfolgung und manches Unannehmliche. Ich
hielt mich zur klaren Parthey und ſuchte mir
ihre Grundſaͤtze und Vortheile zuzueignen, ob
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[149/0157] wie in der fernſten Zukunft, verhuͤllte Weiſſa¬ gungen verehren. Hierdurch entſpringt ein Zu¬ ſammenhang, der in der Geſchichte vermißt wird, die uns nur ein zufaͤlliges Hin- und Wieder¬ ſchwanken in einem nothwendig geſchloſſenen Kreiſe zu uͤberliefern ſcheint. Doctor Cruſius gehoͤrte zu denen, welchen der prophetiſche Theil der heiligen Schriften am meiſten zuſag¬ te, indem er die zwey entgegengeſetzteſten Ei¬ genſchaften des menſchlichen Weſens zugleich in Thaͤtigkeit ſetzt, das Gemuͤth und den Scharfſinn. Dieſer Lehre hatten ſich viele Juͤnglinge gewidmet, und bildeten ſchon eine anſehnliche Maſſe, die um deſto mehr in die Augen fiel, als Ernesti mit den Seinigen das Dunkel, in welchem jene ſich gefielen, nicht aufzuhellen, ſondern voͤllig zu vertreiben droh¬ te. Daraus entſtanden Haͤndel, Haß und Verfolgung und manches Unannehmliche. Ich hielt mich zur klaren Parthey und ſuchte mir ihre Grundſaͤtze und Vortheile zuzueignen, ob ich mir gleich zu ahnden erlaubte, daß durch

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/157>, abgerufen am 24.11.2024.