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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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gegengesetzte Sinnesart hervor, indem solche die
dunkelsten, geheimnißvollsten Schriften zum
Gegenstand ihrer Betrachtungen wählten, und
solche aus sich selbst durch Conjecturen, Rech¬
nungen und andere geistreiche und seltsame Com¬
binationen, zwar nicht aufhellen, aber doch be¬
kräftigen und in sofern sie Weissagungen ent¬
hielten, durch den Erfolg begründen und da¬
durch einen Glauben an das Nächstzuerwarten¬
de rechtfertigen wollten.

Der ehrwürdige Bengel hatte seinen Be¬
mühungen um die Offenbarung Johannis da¬
durch einen entschiedenen Eingang verschafft, daß
er als ein verständiger, rechtschaffener, gottes¬
fürchtiger, als ein Mann ohne Tadel bekannt
war. Tiefe Gemüther sind genöthigt, in der
Vergangenheit so wie in der Zukunft zu leben.
Das gewöhnliche Treiben der Welt kann ih¬
nen von keiner Bedeutung seyn, wenn sie nicht
in dem Verlauf der Zeiten bis zur Gegenwart,
enthüllte Prophezeyungen, und in der nächsten

gegengeſetzte Sinnesart hervor, indem ſolche die
dunkelſten, geheimnißvollſten Schriften zum
Gegenſtand ihrer Betrachtungen waͤhlten, und
ſolche aus ſich ſelbſt durch Conjecturen, Rech¬
nungen und andere geiſtreiche und ſeltſame Com¬
binationen, zwar nicht aufhellen, aber doch be¬
kraͤftigen und in ſofern ſie Weiſſagungen ent¬
hielten, durch den Erfolg begruͤnden und da¬
durch einen Glauben an das Naͤchſtzuerwarten¬
de rechtfertigen wollten.

Der ehrwuͤrdige Bengel hatte ſeinen Be¬
muͤhungen um die Offenbarung Johannis da¬
durch einen entſchiedenen Eingang verſchafft, daß
er als ein verſtaͤndiger, rechtſchaffener, gottes¬
fuͤrchtiger, als ein Mann ohne Tadel bekannt
war. Tiefe Gemuͤther ſind genoͤthigt, in der
Vergangenheit ſo wie in der Zukunft zu leben.
Das gewoͤhnliche Treiben der Welt kann ih¬
nen von keiner Bedeutung ſeyn, wenn ſie nicht
in dem Verlauf der Zeiten bis zur Gegenwart,
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[148/0156] gegengeſetzte Sinnesart hervor, indem ſolche die dunkelſten, geheimnißvollſten Schriften zum Gegenſtand ihrer Betrachtungen waͤhlten, und ſolche aus ſich ſelbſt durch Conjecturen, Rech¬ nungen und andere geiſtreiche und ſeltſame Com¬ binationen, zwar nicht aufhellen, aber doch be¬ kraͤftigen und in ſofern ſie Weiſſagungen ent¬ hielten, durch den Erfolg begruͤnden und da¬ durch einen Glauben an das Naͤchſtzuerwarten¬ de rechtfertigen wollten. Der ehrwuͤrdige Bengel hatte ſeinen Be¬ muͤhungen um die Offenbarung Johannis da¬ durch einen entſchiedenen Eingang verſchafft, daß er als ein verſtaͤndiger, rechtſchaffener, gottes¬ fuͤrchtiger, als ein Mann ohne Tadel bekannt war. Tiefe Gemuͤther ſind genoͤthigt, in der Vergangenheit ſo wie in der Zukunft zu leben. Das gewoͤhnliche Treiben der Welt kann ih¬ nen von keiner Bedeutung ſeyn, wenn ſie nicht in dem Verlauf der Zeiten bis zur Gegenwart, enthuͤllte Prophezeyungen, und in der naͤchſten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/156>, abgerufen am 24.11.2024.