Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

abzubitten, verwandelte dieß Ereigniß in eine
Idylle, die ich niemals ohne Neigung lesen
und ohne Rührung Anderen vortragen konnte.

Indem ich nun, als ein Schäfer an der
Pleiße, mich in solche zarte Gegenstände kind¬
lich genug vertiefte, und immer nur solche
wählte, die ich geschwind in meinen Busen zu¬
rückführen konnte, so war für deutsche Dich¬
ter von einer größeren und wichtigeren Seite
her längst gesorgt gewesen.

Der erste wahre und höhere eigentliche Le¬
bensgehalt kam durch Friedrich den Großen
und die Thaten des siebenjährigen Kriegs in die
deutsche Poesie. Jede Nationaldichtung muß
schal seyn oder schal werden, die nicht auf
dem Menschlichersten ruht, auf den Ereignissen
der Völker und ihrer Hirten, wenn beyde für
Einen Mann stehn. Könige sind darzustellen
in Krieg und Gefahr, wo sie eben dadurch als
die Ersten erscheinen, weil sie das Schicksal des

abzubitten, verwandelte dieß Ereigniß in eine
Idylle, die ich niemals ohne Neigung leſen
und ohne Ruͤhrung Anderen vortragen konnte.

Indem ich nun, als ein Schaͤfer an der
Pleiße, mich in ſolche zarte Gegenſtaͤnde kind¬
lich genug vertiefte, und immer nur ſolche
waͤhlte, die ich geſchwind in meinen Buſen zu¬
ruͤckfuͤhren konnte, ſo war fuͤr deutſche Dich¬
ter von einer groͤßeren und wichtigeren Seite
her laͤngſt geſorgt geweſen.

Der erſte wahre und hoͤhere eigentliche Le¬
bensgehalt kam durch Friedrich den Großen
und die Thaten des ſiebenjaͤhrigen Kriegs in die
deutſche Poeſie. Jede Nationaldichtung muß
ſchal ſeyn oder ſchal werden, die nicht auf
dem Menſchlicherſten ruht, auf den Ereigniſſen
der Voͤlker und ihrer Hirten, wenn beyde fuͤr
Einen Mann ſtehn. Koͤnige ſind darzuſtellen
in Krieg und Gefahr, wo ſie eben dadurch als
die Erſten erſcheinen, weil ſie das Schickſal des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0165" n="157"/>
abzubitten, verwandelte dieß Ereigniß in eine<lb/>
Idylle, die ich niemals ohne Neigung le&#x017F;en<lb/>
und ohne Ru&#x0364;hrung Anderen vortragen konnte.</p><lb/>
        <p>Indem ich nun, als ein Scha&#x0364;fer an der<lb/>
Pleiße, mich in &#x017F;olche zarte Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde kind¬<lb/>
lich genug vertiefte, und immer nur &#x017F;olche<lb/>
wa&#x0364;hlte, die ich ge&#x017F;chwind in meinen Bu&#x017F;en zu¬<lb/>
ru&#x0364;ckfu&#x0364;hren konnte, &#x017F;o war fu&#x0364;r deut&#x017F;che Dich¬<lb/>
ter von einer gro&#x0364;ßeren und wichtigeren Seite<lb/>
her la&#x0364;ng&#x017F;t ge&#x017F;orgt gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Der er&#x017F;te wahre und ho&#x0364;here eigentliche Le¬<lb/>
bensgehalt kam durch Friedrich den Großen<lb/>
und die Thaten des &#x017F;iebenja&#x0364;hrigen Kriegs in die<lb/>
deut&#x017F;che Poe&#x017F;ie. Jede Nationaldichtung muß<lb/>
&#x017F;chal &#x017F;eyn oder &#x017F;chal werden, die nicht auf<lb/>
dem Men&#x017F;chlicher&#x017F;ten ruht, auf den Ereigni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der Vo&#x0364;lker und ihrer Hirten, wenn beyde fu&#x0364;r<lb/>
Einen Mann &#x017F;tehn. Ko&#x0364;nige &#x017F;ind darzu&#x017F;tellen<lb/>
in Krieg und Gefahr, wo &#x017F;ie eben dadurch als<lb/>
die Er&#x017F;ten er&#x017F;cheinen, weil &#x017F;ie das Schick&#x017F;al des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0165] abzubitten, verwandelte dieß Ereigniß in eine Idylle, die ich niemals ohne Neigung leſen und ohne Ruͤhrung Anderen vortragen konnte. Indem ich nun, als ein Schaͤfer an der Pleiße, mich in ſolche zarte Gegenſtaͤnde kind¬ lich genug vertiefte, und immer nur ſolche waͤhlte, die ich geſchwind in meinen Buſen zu¬ ruͤckfuͤhren konnte, ſo war fuͤr deutſche Dich¬ ter von einer groͤßeren und wichtigeren Seite her laͤngſt geſorgt geweſen. Der erſte wahre und hoͤhere eigentliche Le¬ bensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Thaten des ſiebenjaͤhrigen Kriegs in die deutſche Poeſie. Jede Nationaldichtung muß ſchal ſeyn oder ſchal werden, die nicht auf dem Menſchlicherſten ruht, auf den Ereigniſſen der Voͤlker und ihrer Hirten, wenn beyde fuͤr Einen Mann ſtehn. Koͤnige ſind darzuſtellen in Krieg und Gefahr, wo ſie eben dadurch als die Erſten erſcheinen, weil ſie das Schickſal des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/165
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/165>, abgerufen am 13.05.2024.