Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

keit keine Opfer scheute und in den gefährlichsten
Fällen am liebsten wirken mochte; so fand ich
oft genug Gelegenheit zu vermitteln, zu ver¬
tuschen, den Wetterstrahl abzuleiten, und was
sonst nur alles geleistet werden kann; wobey es
nicht fehlen konnte, daß ich sowohl an mir
selbst, als durch Andere zu manchen kränken¬
den und demüthigenden Erfahrungen gelangen
mußte. Um mir Luft zu verschaffen entwarf ich
mehrere Schauspiele und schrieb die Expositio¬
nen von den meisten. Da aber die Verwick¬
lungen jederzeit ängstlich werden mußten, und
fast alle diese Stücke mit einem tragischen Ende
drohten, ließ ich eins nach dem anderen fal¬
len. Die Mitschuldigen sind das einzige
fertig gewordene, dessen heiteres und burleskes
Wesen auf dem düsteren Familiengrunde als
von etwas Bänglichem begleitet erscheint, so
daß es bey der Vorstellung im Ganzen ängsti¬
get, wenn es im Einzelnen ergetzt. Die hart
ausgesprochenen widergesetzlichen Handlungen
verletzen das ästhetische und moralische Gefühl,

keit keine Opfer ſcheute und in den gefaͤhrlichſten
Faͤllen am liebſten wirken mochte; ſo fand ich
oft genug Gelegenheit zu vermitteln, zu ver¬
tuſchen, den Wetterſtrahl abzuleiten, und was
ſonſt nur alles geleiſtet werden kann; wobey es
nicht fehlen konnte, daß ich ſowohl an mir
ſelbſt, als durch Andere zu manchen kraͤnken¬
den und demuͤthigenden Erfahrungen gelangen
mußte. Um mir Luft zu verſchaffen entwarf ich
mehrere Schauſpiele und ſchrieb die Expoſitio¬
nen von den meiſten. Da aber die Verwick¬
lungen jederzeit aͤngſtlich werden mußten, und
faſt alle dieſe Stuͤcke mit einem tragiſchen Ende
drohten, ließ ich eins nach dem anderen fal¬
len. Die Mitſchuldigen ſind das einzige
fertig gewordene, deſſen heiteres und burleskes
Weſen auf dem duͤſteren Familiengrunde als
von etwas Baͤnglichem begleitet erſcheint, ſo
daß es bey der Vorſtellung im Ganzen aͤngſti¬
get, wenn es im Einzelnen ergetzt. Die hart
ausgeſprochenen widergeſetzlichen Handlungen
verletzen das aͤſthetiſche und moraliſche Gefuͤhl,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0180" n="172"/>
keit keine Opfer &#x017F;cheute und in den gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten<lb/>
Fa&#x0364;llen am lieb&#x017F;ten wirken mochte; &#x017F;o fand ich<lb/>
oft genug Gelegenheit zu vermitteln, zu ver¬<lb/>
tu&#x017F;chen, den Wetter&#x017F;trahl abzuleiten, und was<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nur alles gelei&#x017F;tet werden kann; wobey es<lb/>
nicht fehlen konnte, daß ich &#x017F;owohl an mir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, als durch Andere zu manchen kra&#x0364;nken¬<lb/>
den und demu&#x0364;thigenden Erfahrungen gelangen<lb/>
mußte. Um mir Luft zu ver&#x017F;chaffen entwarf ich<lb/>
mehrere Schau&#x017F;piele und &#x017F;chrieb die Expo&#x017F;itio¬<lb/>
nen von den mei&#x017F;ten. Da aber die Verwick¬<lb/>
lungen jederzeit a&#x0364;ng&#x017F;tlich werden mußten, und<lb/>
fa&#x017F;t alle die&#x017F;e Stu&#x0364;cke mit einem tragi&#x017F;chen Ende<lb/>
drohten, ließ ich eins nach dem anderen fal¬<lb/>
len. Die <hi rendition="#g">Mit&#x017F;chuldigen</hi> &#x017F;ind das einzige<lb/>
fertig gewordene, de&#x017F;&#x017F;en heiteres und burleskes<lb/>
We&#x017F;en auf dem du&#x0364;&#x017F;teren Familiengrunde als<lb/>
von etwas Ba&#x0364;nglichem begleitet er&#x017F;cheint, &#x017F;o<lb/>
daß es bey der Vor&#x017F;tellung im Ganzen a&#x0364;ng&#x017F;ti¬<lb/>
get, wenn es im Einzelnen ergetzt. Die hart<lb/>
ausge&#x017F;prochenen widerge&#x017F;etzlichen Handlungen<lb/>
verletzen das a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che und morali&#x017F;che Gefu&#x0364;hl,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0180] keit keine Opfer ſcheute und in den gefaͤhrlichſten Faͤllen am liebſten wirken mochte; ſo fand ich oft genug Gelegenheit zu vermitteln, zu ver¬ tuſchen, den Wetterſtrahl abzuleiten, und was ſonſt nur alles geleiſtet werden kann; wobey es nicht fehlen konnte, daß ich ſowohl an mir ſelbſt, als durch Andere zu manchen kraͤnken¬ den und demuͤthigenden Erfahrungen gelangen mußte. Um mir Luft zu verſchaffen entwarf ich mehrere Schauſpiele und ſchrieb die Expoſitio¬ nen von den meiſten. Da aber die Verwick¬ lungen jederzeit aͤngſtlich werden mußten, und faſt alle dieſe Stuͤcke mit einem tragiſchen Ende drohten, ließ ich eins nach dem anderen fal¬ len. Die Mitſchuldigen ſind das einzige fertig gewordene, deſſen heiteres und burleskes Weſen auf dem duͤſteren Familiengrunde als von etwas Baͤnglichem begleitet erſcheint, ſo daß es bey der Vorſtellung im Ganzen aͤngſti¬ get, wenn es im Einzelnen ergetzt. Die hart ausgeſprochenen widergeſetzlichen Handlungen verletzen das aͤſthetiſche und moraliſche Gefuͤhl,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/180
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/180>, abgerufen am 21.11.2024.