Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬ rie von dem Abendmahl. Es hatte nämlich schon sehr früh der Spruch, daß einer, der das Sacrament unwürdig genieße, sich selbst das Gericht esse und trinke, einen ungeheue¬ ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬ bare, was ich in den Geschichten der Mittel¬ zeit von Gottesurtheilen, den seltsamsten fungen durch glühendes Eisen, flammendes Feuer, schwellendes Wasser gelesen hatte, selbst was uns die Bibel von der Quelle erzählt, die dem Unschuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufbläht und bersten macht, das alles stellte sich meiner Einbildungskraft dar und vereinigte sich zu dem höchsten Furchtba¬ ren, indem falsche Zusage, Heucheley, Mein¬ eyd, Gotteslästerung, alles bey der heiligsten Handlung auf dem Unwürdigen zu lasten schien, welches um so schrecklicher war, als ja Niemand sich für würdig erklären durfte, und man die Vergebung der Sünden, wo¬ durch zuletzt alles ausgeglichen werden sollte,
Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬ rie von dem Abendmahl. Es hatte naͤmlich ſchon ſehr fruͤh der Spruch, daß einer, der das Sacrament unwuͤrdig genieße, ſich ſelbſt das Gericht eſſe und trinke, einen ungeheue¬ ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬ bare, was ich in den Geſchichten der Mittel¬ zeit von Gottesurtheilen, den ſeltſamſten fungen durch gluͤhendes Eiſen, flammendes Feuer, ſchwellendes Waſſer geleſen hatte, ſelbſt was uns die Bibel von der Quelle erzaͤhlt, die dem Unſchuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufblaͤht und berſten macht, das alles ſtellte ſich meiner Einbildungskraft dar und vereinigte ſich zu dem hoͤchſten Furchtba¬ ren, indem falſche Zuſage, Heucheley, Mein¬ eyd, Gotteslaͤſterung, alles bey der heiligſten Handlung auf dem Unwuͤrdigen zu laſten ſchien, welches um ſo ſchrecklicher war, als ja Niemand ſich fuͤr wuͤrdig erklaͤren durfte, und man die Vergebung der Suͤnden, wo¬ durch zuletzt alles ausgeglichen werden ſollte,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0200"n="192"/><p>Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬<lb/>
rie von dem Abendmahl. Es hatte naͤmlich<lb/>ſchon ſehr fruͤh der Spruch, daß einer, der<lb/>
das Sacrament unwuͤrdig genieße, ſich ſelbſt<lb/>
das Gericht eſſe und trinke, einen ungeheue¬<lb/>
ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬<lb/>
bare, was ich in den Geſchichten der Mittel¬<lb/>
zeit von Gottesurtheilen, den ſeltſamſten<lb/>
fungen durch gluͤhendes Eiſen, flammendes<lb/>
Feuer, ſchwellendes Waſſer geleſen hatte, ſelbſt<lb/>
was uns die Bibel von der Quelle erzaͤhlt,<lb/>
die dem Unſchuldigen wohl bekommt, den<lb/>
Schuldigen aufblaͤht und berſten macht, das<lb/>
alles ſtellte ſich meiner Einbildungskraft dar<lb/>
und vereinigte ſich zu dem hoͤchſten Furchtba¬<lb/>
ren, indem falſche Zuſage, Heucheley, Mein¬<lb/>
eyd, Gotteslaͤſterung, alles bey der heiligſten<lb/>
Handlung auf dem Unwuͤrdigen zu laſten<lb/>ſchien, welches um ſo ſchrecklicher war, als<lb/>
ja Niemand ſich fuͤr wuͤrdig erklaͤren durfte,<lb/>
und man die Vergebung der Suͤnden, wo¬<lb/>
durch zuletzt alles ausgeglichen werden ſollte,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[192/0200]
Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬
rie von dem Abendmahl. Es hatte naͤmlich
ſchon ſehr fruͤh der Spruch, daß einer, der
das Sacrament unwuͤrdig genieße, ſich ſelbſt
das Gericht eſſe und trinke, einen ungeheue¬
ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬
bare, was ich in den Geſchichten der Mittel¬
zeit von Gottesurtheilen, den ſeltſamſten
fungen durch gluͤhendes Eiſen, flammendes
Feuer, ſchwellendes Waſſer geleſen hatte, ſelbſt
was uns die Bibel von der Quelle erzaͤhlt,
die dem Unſchuldigen wohl bekommt, den
Schuldigen aufblaͤht und berſten macht, das
alles ſtellte ſich meiner Einbildungskraft dar
und vereinigte ſich zu dem hoͤchſten Furchtba¬
ren, indem falſche Zuſage, Heucheley, Mein¬
eyd, Gotteslaͤſterung, alles bey der heiligſten
Handlung auf dem Unwuͤrdigen zu laſten
ſchien, welches um ſo ſchrecklicher war, als
ja Niemand ſich fuͤr wuͤrdig erklaͤren durfte,
und man die Vergebung der Suͤnden, wo¬
durch zuletzt alles ausgeglichen werden ſollte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/200>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.