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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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las daraus die erste beste kurze Formel, die
so allgemein war, daß ein Jeder sie ganz ge¬
ruhig hätte aussprechen können. Ich empfing
die Absolution und entfernte mich weder warm
noch kalt, ging den andern Tag mit meinen
Aeltern zu dem Tische des Herrn, und betrug
mich ein Paar Tage, wie es sich nach einer
so heiligen Handlung wohl ziemte.

In der Folge trat jedoch bey mir das
Uebel hervor, welches aus unserer durch man¬
cherley Dogmen complicirten, auf Bibelsprüche,
die mehrere Auslegungen zulassen, gegründe¬
ten Religion bedenkliche Menschen dergestalt
anfällt, daß es hypochondrische Zustände nach
sich zieht, und diese bis zu ihrem höchsten
Gipfel, zu fixen Ideen steigert. Ich habe
mehrere Menschen gekannt, die, bey einer
ganz verständigen Sinnes- und Lebensweise,
sich von dem Gedanken an die Sünde in den
heiligen Geist und von der Angst solche be¬
gangen zu haben nicht losmachen konnten.

las daraus die erſte beſte kurze Formel, die
ſo allgemein war, daß ein Jeder ſie ganz ge¬
ruhig haͤtte ausſprechen koͤnnen. Ich empfing
die Abſolution und entfernte mich weder warm
noch kalt, ging den andern Tag mit meinen
Aeltern zu dem Tiſche des Herrn, und betrug
mich ein Paar Tage, wie es ſich nach einer
ſo heiligen Handlung wohl ziemte.

In der Folge trat jedoch bey mir das
Uebel hervor, welches aus unſerer durch man¬
cherley Dogmen complicirten, auf Bibelſpruͤche,
die mehrere Auslegungen zulaſſen, gegruͤnde¬
ten Religion bedenkliche Menſchen dergeſtalt
anfaͤllt, daß es hypochondriſche Zuſtaͤnde nach
ſich zieht, und dieſe bis zu ihrem hoͤchſten
Gipfel, zu fixen Ideen ſteigert. Ich habe
mehrere Menſchen gekannt, die, bey einer
ganz verſtaͤndigen Sinnes- und Lebensweiſe,
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[191/0199] las daraus die erſte beſte kurze Formel, die ſo allgemein war, daß ein Jeder ſie ganz ge¬ ruhig haͤtte ausſprechen koͤnnen. Ich empfing die Abſolution und entfernte mich weder warm noch kalt, ging den andern Tag mit meinen Aeltern zu dem Tiſche des Herrn, und betrug mich ein Paar Tage, wie es ſich nach einer ſo heiligen Handlung wohl ziemte. In der Folge trat jedoch bey mir das Uebel hervor, welches aus unſerer durch man¬ cherley Dogmen complicirten, auf Bibelſpruͤche, die mehrere Auslegungen zulaſſen, gegruͤnde¬ ten Religion bedenkliche Menſchen dergeſtalt anfaͤllt, daß es hypochondriſche Zuſtaͤnde nach ſich zieht, und dieſe bis zu ihrem hoͤchſten Gipfel, zu fixen Ideen ſteigert. Ich habe mehrere Menſchen gekannt, die, bey einer ganz verſtaͤndigen Sinnes- und Lebensweiſe, ſich von dem Gedanken an die Suͤnde in den heiligen Geiſt und von der Angſt ſolche be¬ gangen zu haben nicht losmachen konnten.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/199>, abgerufen am 21.11.2024.