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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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thun wollten. Dieses Letzte war mir gar nicht
recht: denn ich hatte die seltsamsten religiösen
Zweifel, die ich gern bey einer solchen Gele¬
genheit berichtiget hätte. Da nun dieses nicht
seyn sollte, so verfaßte ich mir eine Beichte,
die, indem sie meine Zustände wohl ausdrück¬
te, einem verständigen Manne dasjenige im
Allgemeinen bekennen sollte, was mir im Ein¬
zelnen zu sagen verboten war. Aber als ich
in das alte Barfüßer-Chor hineintrat, mich
den wunderlichen vergitterten Schränken nä¬
herte, in welchen die geistlichen Herren sich
zu diesem Acte einzufinden pflegten, als mir
der Glöckner die Thüre eröffnete und ich mich
nun gegen meinen geistlichen Großvater in
dem engen Raume eingesperrt sah, und er
mich mit seiner schwachen, näselnden Stimme
willkommen hieß, erlosch auf einmal alles
Licht meines Geistes und Herzens, die wohl
memorirte Beichtrede wollte mir nicht über
die Lippen, ich schlug in der Verlegenheit
das Buch auf, das ich in Händen hatte, und

thun wollten. Dieſes Letzte war mir gar nicht
recht: denn ich hatte die ſeltſamſten religioͤſen
Zweifel, die ich gern bey einer ſolchen Gele¬
genheit berichtiget haͤtte. Da nun dieſes nicht
ſeyn ſollte, ſo verfaßte ich mir eine Beichte,
die, indem ſie meine Zuſtaͤnde wohl ausdruͤck¬
te, einem verſtaͤndigen Manne dasjenige im
Allgemeinen bekennen ſollte, was mir im Ein¬
zelnen zu ſagen verboten war. Aber als ich
in das alte Barfuͤßer-Chor hineintrat, mich
den wunderlichen vergitterten Schraͤnken naͤ¬
herte, in welchen die geiſtlichen Herren ſich
zu dieſem Acte einzufinden pflegten, als mir
der Gloͤckner die Thuͤre eroͤffnete und ich mich
nun gegen meinen geiſtlichen Großvater in
dem engen Raume eingeſperrt ſah, und er
mich mit ſeiner ſchwachen, naͤſelnden Stimme
willkommen hieß, erloſch auf einmal alles
Licht meines Geiſtes und Herzens, die wohl
memorirte Beichtrede wollte mir nicht uͤber
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[190/0198] thun wollten. Dieſes Letzte war mir gar nicht recht: denn ich hatte die ſeltſamſten religioͤſen Zweifel, die ich gern bey einer ſolchen Gele¬ genheit berichtiget haͤtte. Da nun dieſes nicht ſeyn ſollte, ſo verfaßte ich mir eine Beichte, die, indem ſie meine Zuſtaͤnde wohl ausdruͤck¬ te, einem verſtaͤndigen Manne dasjenige im Allgemeinen bekennen ſollte, was mir im Ein¬ zelnen zu ſagen verboten war. Aber als ich in das alte Barfuͤßer-Chor hineintrat, mich den wunderlichen vergitterten Schraͤnken naͤ¬ herte, in welchen die geiſtlichen Herren ſich zu dieſem Acte einzufinden pflegten, als mir der Gloͤckner die Thuͤre eroͤffnete und ich mich nun gegen meinen geiſtlichen Großvater in dem engen Raume eingeſperrt ſah, und er mich mit ſeiner ſchwachen, naͤſelnden Stimme willkommen hieß, erloſch auf einmal alles Licht meines Geiſtes und Herzens, die wohl memorirte Beichtrede wollte mir nicht uͤber die Lippen, ich ſchlug in der Verlegenheit das Buch auf, das ich in Haͤnden hatte, und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/198>, abgerufen am 21.11.2024.