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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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ein großer, ansehnlicher, derber, kurz gebun¬
dener, etwas roher Mann sollte Fechtmeister
gewesen seyn und, bey allzugroßer Nachsicht
seines Bruders, die edlen Tischgenossen manch¬
mal hart und rauh behandeln; daher glaubte
man nun wieder sich dieser jungen Leute an¬
nehmen zu müssen, und zerrte so den guten
Namen des trefflichen Gellert dergestalt hin
und wieder, daß wir zuletzt, um nicht irre
an ihm zu werden, gleichgültig gegen ihn wur¬
den und uns nicht mehr vor ihm sehen lie¬
ßen; doch grüßten wir ihn immer auf das
beste, wenn er auf seinem zahmen Schim¬
mel einhergeritten kam. Dieses Pferd hatte
ihm der Churfürst geschenkt, um ihn zu einer
seiner Gesundheit so nöthigen Bewegung zu
verbinden; eine Auszeichnung, die ihm nicht
leicht zu verzeihen war.

Und so rückte nach und nach der Zeitpunct
heran, wo mir alle Autorität verschwinden
und ich selbst an den größten und besten In¬

ein großer, anſehnlicher, derber, kurz gebun¬
dener, etwas roher Mann ſollte Fechtmeiſter
geweſen ſeyn und, bey allzugroßer Nachſicht
ſeines Bruders, die edlen Tiſchgenoſſen manch¬
mal hart und rauh behandeln; daher glaubte
man nun wieder ſich dieſer jungen Leute an¬
nehmen zu muͤſſen, und zerrte ſo den guten
Namen des trefflichen Gellert dergeſtalt hin
und wieder, daß wir zuletzt, um nicht irre
an ihm zu werden, gleichguͤltig gegen ihn wur¬
den und uns nicht mehr vor ihm ſehen lie¬
ßen; doch gruͤßten wir ihn immer auf das
beſte, wenn er auf ſeinem zahmen Schim¬
mel einhergeritten kam. Dieſes Pferd hatte
ihm der Churfuͤrſt geſchenkt, um ihn zu einer
ſeiner Geſundheit ſo noͤthigen Bewegung zu
verbinden; eine Auszeichnung, die ihm nicht
leicht zu verzeihen war.

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[196/0204] ein großer, anſehnlicher, derber, kurz gebun¬ dener, etwas roher Mann ſollte Fechtmeiſter geweſen ſeyn und, bey allzugroßer Nachſicht ſeines Bruders, die edlen Tiſchgenoſſen manch¬ mal hart und rauh behandeln; daher glaubte man nun wieder ſich dieſer jungen Leute an¬ nehmen zu muͤſſen, und zerrte ſo den guten Namen des trefflichen Gellert dergeſtalt hin und wieder, daß wir zuletzt, um nicht irre an ihm zu werden, gleichguͤltig gegen ihn wur¬ den und uns nicht mehr vor ihm ſehen lie¬ ßen; doch gruͤßten wir ihn immer auf das beſte, wenn er auf ſeinem zahmen Schim¬ mel einhergeritten kam. Dieſes Pferd hatte ihm der Churfuͤrſt geſchenkt, um ihn zu einer ſeiner Geſundheit ſo noͤthigen Bewegung zu verbinden; eine Auszeichnung, die ihm nicht leicht zu verzeihen war. Und ſo ruͤckte nach und nach der Zeitpunct heran, wo mir alle Autoritaͤt verſchwinden und ich ſelbſt an den groͤßten und beſten In¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/204>, abgerufen am 21.11.2024.