dividuen, die ich gekannt oder mir gedacht hatte, zweifeln, ja verzweifeln sollte.
Friedrich der Zweyte stand noch immer über allen vorzüglichen Männern des Jahr¬ hunderts in meinen Gedanken, und es mußte mir daher sehr befremdend vorkommen, daß ich ihn so wenig vor den Einwohnern von Leipzig als sonst in meinem großväterlichen Hause loben durfte. Sie hatten freylich die Hand des Krieges schwer gefühlt, und es war ihnen deshalb nicht zu verargen, daß sie von demjenigen, der ihn begonnen und fortgesetzt, nicht das Beste dachten. Sie wollten ihn daher wohl für einen vorzüglichen, aber kei¬ neswegs für einen großen Mann gelten las¬ sen. Es sey keine Kunst, sagten sie, mit großen Mitteln einiges zu leisten; und wenn man weder Länder, noch Geld, noch Blut schone, so könne man zuletzt schon seinen Vor¬ satz ausführen. Friedrich habe sich in keinem seiner Plane und in nichts, was er sich ei¬
dividuen, die ich gekannt oder mir gedacht hatte, zweifeln, ja verzweifeln ſollte.
Friedrich der Zweyte ſtand noch immer uͤber allen vorzuͤglichen Maͤnnern des Jahr¬ hunderts in meinen Gedanken, und es mußte mir daher ſehr befremdend vorkommen, daß ich ihn ſo wenig vor den Einwohnern von Leipzig als ſonſt in meinem großvaͤterlichen Hauſe loben durfte. Sie hatten freylich die Hand des Krieges ſchwer gefuͤhlt, und es war ihnen deshalb nicht zu verargen, daß ſie von demjenigen, der ihn begonnen und fortgeſetzt, nicht das Beſte dachten. Sie wollten ihn daher wohl fuͤr einen vorzuͤglichen, aber kei¬ neswegs fuͤr einen großen Mann gelten laſ¬ ſen. Es ſey keine Kunſt, ſagten ſie, mit großen Mitteln einiges zu leiſten; und wenn man weder Laͤnder, noch Geld, noch Blut ſchone, ſo koͤnne man zuletzt ſchon ſeinen Vor¬ ſatz ausfuͤhren. Friedrich habe ſich in keinem ſeiner Plane und in nichts, was er ſich ei¬
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dividuen, die ich gekannt oder mir gedacht
hatte, zweifeln, ja verzweifeln ſollte.
Friedrich der Zweyte ſtand noch immer
uͤber allen vorzuͤglichen Maͤnnern des Jahr¬
hunderts in meinen Gedanken, und es mußte
mir daher ſehr befremdend vorkommen, daß
ich ihn ſo wenig vor den Einwohnern von
Leipzig als ſonſt in meinem großvaͤterlichen
Hauſe loben durfte. Sie hatten freylich die
Hand des Krieges ſchwer gefuͤhlt, und es war
ihnen deshalb nicht zu verargen, daß ſie von
demjenigen, der ihn begonnen und fortgeſetzt,
nicht das Beſte dachten. Sie wollten ihn
daher wohl fuͤr einen vorzuͤglichen, aber kei¬
neswegs fuͤr einen großen Mann gelten laſ¬
ſen. Es ſey keine Kunſt, ſagten ſie, mit
großen Mitteln einiges zu leiſten; und wenn
man weder Laͤnder, noch Geld, noch Blut
ſchone, ſo koͤnne man zuletzt ſchon ſeinen Vor¬
ſatz ausfuͤhren. Friedrich habe ſich in keinem
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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