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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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poetischen Styl zu geben, so that er es pri¬
vatissime nur Wenigen, unter die wir uns
nicht zählen durften. Die Lücke, die sich da¬
durch in dem öffentlichen Unterricht ergab, ge¬
dachte Professor Clodius auszufüllen, der
sich im Litterarischen, Kritischen und Poeti¬
schen einigen Ruf erworben hatte und als ein
junger, munterer, zuthätiger Mann, sowohl
bey der Academie als in der Stadt viel
Freunde fand. An die nunmehr von ihm
übernommene Stunde wies uns Gellert selbst,
und was die Hauptsache betraf, so merkten
wir wenig Unterschied. Auch er kritisirte nur
das Einzelne, corrigirte gleichfalls mit rother
Dinte, und man befand sich in Gesellschaft
von lauter Fehlern, ohne eine Aussicht zu
haben, worin das Rechte zu suchen sey? Ich
hatte ihm einige von meinen kleinen Arbeiten
gebracht, die er nicht übel behandelte. Al¬
lein gerade zu jener Zeit schrieb man mir von
Hause, daß ich auf die Hochzeit meines
Oheims nothwendig ein Gedicht liefern müsse.

poetiſchen Styl zu geben, ſo that er es pri¬
vatiſſime nur Wenigen, unter die wir uns
nicht zaͤhlen durften. Die Luͤcke, die ſich da¬
durch in dem oͤffentlichen Unterricht ergab, ge¬
dachte Profeſſor Clodius auszufuͤllen, der
ſich im Litterariſchen, Kritiſchen und Poeti¬
ſchen einigen Ruf erworben hatte und als ein
junger, munterer, zuthaͤtiger Mann, ſowohl
bey der Academie als in der Stadt viel
Freunde fand. An die nunmehr von ihm
uͤbernommene Stunde wies uns Gellert ſelbſt,
und was die Hauptſache betraf, ſo merkten
wir wenig Unterſchied. Auch er kritiſirte nur
das Einzelne, corrigirte gleichfalls mit rother
Dinte, und man befand ſich in Geſellſchaft
von lauter Fehlern, ohne eine Ausſicht zu
haben, worin das Rechte zu ſuchen ſey? Ich
hatte ihm einige von meinen kleinen Arbeiten
gebracht, die er nicht uͤbel behandelte. Al¬
lein gerade zu jener Zeit ſchrieb man mir von
Hauſe, daß ich auf die Hochzeit meines
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[208/0216] poetiſchen Styl zu geben, ſo that er es pri¬ vatiſſime nur Wenigen, unter die wir uns nicht zaͤhlen durften. Die Luͤcke, die ſich da¬ durch in dem oͤffentlichen Unterricht ergab, ge¬ dachte Profeſſor Clodius auszufuͤllen, der ſich im Litterariſchen, Kritiſchen und Poeti¬ ſchen einigen Ruf erworben hatte und als ein junger, munterer, zuthaͤtiger Mann, ſowohl bey der Academie als in der Stadt viel Freunde fand. An die nunmehr von ihm uͤbernommene Stunde wies uns Gellert ſelbſt, und was die Hauptſache betraf, ſo merkten wir wenig Unterſchied. Auch er kritiſirte nur das Einzelne, corrigirte gleichfalls mit rother Dinte, und man befand ſich in Geſellſchaft von lauter Fehlern, ohne eine Ausſicht zu haben, worin das Rechte zu ſuchen ſey? Ich hatte ihm einige von meinen kleinen Arbeiten gebracht, die er nicht uͤbel behandelte. Al¬ lein gerade zu jener Zeit ſchrieb man mir von Hauſe, daß ich auf die Hochzeit meines Oheims nothwendig ein Gedicht liefern muͤſſe.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/216>, abgerufen am 10.05.2024.