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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Papier einen Blumenstrauß, nach einer vor¬
handenen Vorschrift, mit schwarzer und wei¬
ßer Kreide sehr sorgfältig ausgeführt, und
theils mit Wischen, theils mit Schraffiren
das kleine Bild hervorzuheben gesucht. Nach¬
dem ich mich lange dergestalt bemüht, trat er
einstens hinter mich und sagte: "Mehr Pa¬
pier!" worauf er sich sogleich entfernte. Mein
Nachbar und ich zerbrachen uns den Kopf,
was das heißen könne: denn mein Bouquet
hatte auf einem großen halben Bogen Raum
genug um sich her. Nachdem wir lange nach¬
gedacht, glaubten wir endlich seinen Sinn zu
treffen, wenn wir bemerkten, daß ich durch
das Ineinanderarbeiten des Schwarzen und
Weißen den blauen Grund ganz zugedeckt, die
Mitteltinte zerstört und wirklich eine unange¬
nehme Zeichnung mit großem Fleiß hervorge¬
bracht hatte. Uebrigens ermangelte er nicht,
uns von der Perspective, von Licht und Schat¬
ten zwar genugsam, doch immer nur so zu
unterrichten, daß wir uns anzustrengen und

Papier einen Blumenſtrauß, nach einer vor¬
handenen Vorſchrift, mit ſchwarzer und wei¬
ßer Kreide ſehr ſorgfaͤltig ausgefuͤhrt, und
theils mit Wiſchen, theils mit Schraffiren
das kleine Bild hervorzuheben geſucht. Nach¬
dem ich mich lange dergeſtalt bemuͤht, trat er
einſtens hinter mich und ſagte: „Mehr Pa¬
pier!“ worauf er ſich ſogleich entfernte. Mein
Nachbar und ich zerbrachen uns den Kopf,
was das heißen koͤnne: denn mein Bouquet
hatte auf einem großen halben Bogen Raum
genug um ſich her. Nachdem wir lange nach¬
gedacht, glaubten wir endlich ſeinen Sinn zu
treffen, wenn wir bemerkten, daß ich durch
das Ineinanderarbeiten des Schwarzen und
Weißen den blauen Grund ganz zugedeckt, die
Mitteltinte zerſtoͤrt und wirklich eine unange¬
nehme Zeichnung mit großem Fleiß hervorge¬
bracht hatte. Uebrigens ermangelte er nicht,
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[239/0247] Papier einen Blumenſtrauß, nach einer vor¬ handenen Vorſchrift, mit ſchwarzer und wei¬ ßer Kreide ſehr ſorgfaͤltig ausgefuͤhrt, und theils mit Wiſchen, theils mit Schraffiren das kleine Bild hervorzuheben geſucht. Nach¬ dem ich mich lange dergeſtalt bemuͤht, trat er einſtens hinter mich und ſagte: „Mehr Pa¬ pier!“ worauf er ſich ſogleich entfernte. Mein Nachbar und ich zerbrachen uns den Kopf, was das heißen koͤnne: denn mein Bouquet hatte auf einem großen halben Bogen Raum genug um ſich her. Nachdem wir lange nach¬ gedacht, glaubten wir endlich ſeinen Sinn zu treffen, wenn wir bemerkten, daß ich durch das Ineinanderarbeiten des Schwarzen und Weißen den blauen Grund ganz zugedeckt, die Mitteltinte zerſtoͤrt und wirklich eine unange¬ nehme Zeichnung mit großem Fleiß hervorge¬ bracht hatte. Uebrigens ermangelte er nicht, uns von der Perſpective, von Licht und Schat¬ ten zwar genugſam, doch immer nur ſo zu unterrichten, daß wir uns anzuſtrengen und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/247>, abgerufen am 10.05.2024.