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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Wirths und der Kellner lebte, noch übermä¬
ßig bezahlen zu müssen. Er pries die Hospi¬
talität alter Zeiten, und so ungern er sonst
auch etwas Ungewohntes im Hause duldete,
so übte er doch Gastfreundschaft, besonders an
Künstlern und Virtuosen; wie denn Gevatter
Seekaz immer sein Quartier bey uns behielt,
und Abel, der letzte Musiker, welcher die
Gambe mit Glück und Beyfall behandelte,
wohl aufgenommen und bewirthet wurde.
Wie hätte ich mich nun mit solchen Jugend¬
eindrücken, die bisher durch nichts ausgelöscht
worden, entschließen können, in einer fremden
Stadt einen Gasthof zu betreten? Nichts
wäre leichter gewesen als bey guten Freun¬
den ein Quartier zu finden; Hofrath Krebel,
Assessor Hermann und Andere hatten mir schon
oft davon gesprochen: allein auch diesen sollte
meine Reise ein Geheimniß bleiben, und ich
gerieth auf den wunderlichsten Einfall. Mein
Stubennachbar, der fleißige Theolog, dem seine
Augen leider immer mehr ablegten, hatte ei¬

Wirths und der Kellner lebte, noch uͤbermaͤ¬
ßig bezahlen zu muͤſſen. Er pries die Hospi¬
talitaͤt alter Zeiten, und ſo ungern er ſonſt
auch etwas Ungewohntes im Hauſe duldete,
ſo uͤbte er doch Gaſtfreundſchaft, beſonders an
Kuͤnſtlern und Virtuoſen; wie denn Gevatter
Seekaz immer ſein Quartier bey uns behielt,
und Abel, der letzte Muſiker, welcher die
Gambe mit Gluͤck und Beyfall behandelte,
wohl aufgenommen und bewirthet wurde.
Wie haͤtte ich mich nun mit ſolchen Jugend¬
eindruͤcken, die bisher durch nichts ausgeloͤſcht
worden, entſchließen koͤnnen, in einer fremden
Stadt einen Gaſthof zu betreten? Nichts
waͤre leichter geweſen als bey guten Freun¬
den ein Quartier zu finden; Hofrath Krebel,
Aſſeſſor Hermann und Andere hatten mir ſchon
oft davon geſprochen: allein auch dieſen ſollte
meine Reiſe ein Geheimniß bleiben, und ich
gerieth auf den wunderlichſten Einfall. Mein
Stubennachbar, der fleißige Theolog, dem ſeine
Augen leider immer mehr ablegten, hatte ei¬

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[253/0261] Wirths und der Kellner lebte, noch uͤbermaͤ¬ ßig bezahlen zu muͤſſen. Er pries die Hospi¬ talitaͤt alter Zeiten, und ſo ungern er ſonſt auch etwas Ungewohntes im Hauſe duldete, ſo uͤbte er doch Gaſtfreundſchaft, beſonders an Kuͤnſtlern und Virtuoſen; wie denn Gevatter Seekaz immer ſein Quartier bey uns behielt, und Abel, der letzte Muſiker, welcher die Gambe mit Gluͤck und Beyfall behandelte, wohl aufgenommen und bewirthet wurde. Wie haͤtte ich mich nun mit ſolchen Jugend¬ eindruͤcken, die bisher durch nichts ausgeloͤſcht worden, entſchließen koͤnnen, in einer fremden Stadt einen Gaſthof zu betreten? Nichts waͤre leichter geweſen als bey guten Freun¬ den ein Quartier zu finden; Hofrath Krebel, Aſſeſſor Hermann und Andere hatten mir ſchon oft davon geſprochen: allein auch dieſen ſollte meine Reiſe ein Geheimniß bleiben, und ich gerieth auf den wunderlichſten Einfall. Mein Stubennachbar, der fleißige Theolog, dem ſeine Augen leider immer mehr ablegten, hatte ei¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/261>, abgerufen am 21.11.2024.