Auf meine Bitte, mich aufzuklären, sagte er weiter: "Es scheint, daß Ihre Absicht ist, eine fröhliche Botschaft den Armen und Nie¬ drigen zu verkündigen; das ist schön, und diese Nachahmung des Herrn ist löblich; Sie sollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey wohlhabenden und reichen Leuten zu Tische saß, wo es gut her ging, und daß er selbst den Wohlgeruch des Balsams nicht verschmäh¬ te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil finden könnten."
Dieser lustige Anfang setzte mich gleich in guten Humor und wir neckten einander eine ziemliche Weile herum. Die Frau stand be¬ denklich, wie sie einen solchen Gast unterbrin¬ gen und bewirthen solle? Auch hierüber hatte er sehr artige Einfälle, die sich nicht allein auf die Bibel, sondern auch auf Gottfrieds Chronik bezogen, und als wir einig waren, daß ich bleiben solle, so gab ich meinen Beu¬ tel, wie er war, der Wirthinn zum Aufhe¬
Auf meine Bitte, mich aufzuklaͤren, ſagte er weiter: „Es ſcheint, daß Ihre Abſicht iſt, eine froͤhliche Botſchaft den Armen und Nie¬ drigen zu verkuͤndigen; das iſt ſchoͤn, und dieſe Nachahmung des Herrn iſt loͤblich; Sie ſollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey wohlhabenden und reichen Leuten zu Tiſche ſaß, wo es gut her ging, und daß er ſelbſt den Wohlgeruch des Balſams nicht verſchmaͤh¬ te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil finden koͤnnten.“
Dieſer luſtige Anfang ſetzte mich gleich in guten Humor und wir neckten einander eine ziemliche Weile herum. Die Frau ſtand be¬ denklich, wie ſie einen ſolchen Gaſt unterbrin¬ gen und bewirthen ſolle? Auch hieruͤber hatte er ſehr artige Einfaͤlle, die ſich nicht allein auf die Bibel, ſondern auch auf Gottfrieds Chronik bezogen, und als wir einig waren, daß ich bleiben ſolle, ſo gab ich meinen Beu¬ tel, wie er war, der Wirthinn zum Aufhe¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0264"n="256"/>
Auf meine Bitte, mich aufzuklaͤren, ſagte er<lb/>
weiter: „Es ſcheint, daß Ihre Abſicht iſt,<lb/>
eine froͤhliche Botſchaft den Armen und Nie¬<lb/>
drigen zu verkuͤndigen; das iſt ſchoͤn, und<lb/>
dieſe Nachahmung des Herrn iſt loͤblich; Sie<lb/>ſollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey<lb/>
wohlhabenden und reichen Leuten zu Tiſche<lb/>ſaß, wo es gut her ging, und daß er ſelbſt<lb/>
den Wohlgeruch des Balſams nicht verſchmaͤh¬<lb/>
te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil<lb/>
finden koͤnnten.“</p><lb/><p>Dieſer luſtige Anfang ſetzte mich gleich in<lb/>
guten Humor und wir neckten einander eine<lb/>
ziemliche Weile herum. Die Frau ſtand be¬<lb/>
denklich, wie ſie einen ſolchen Gaſt unterbrin¬<lb/>
gen und bewirthen ſolle? Auch hieruͤber hatte<lb/>
er ſehr artige Einfaͤlle, die ſich nicht allein<lb/>
auf die Bibel, ſondern auch auf Gottfrieds<lb/>
Chronik bezogen, und als wir einig waren,<lb/>
daß ich bleiben ſolle, ſo gab ich meinen Beu¬<lb/>
tel, wie er war, der Wirthinn zum Aufhe¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[256/0264]
Auf meine Bitte, mich aufzuklaͤren, ſagte er
weiter: „Es ſcheint, daß Ihre Abſicht iſt,
eine froͤhliche Botſchaft den Armen und Nie¬
drigen zu verkuͤndigen; das iſt ſchoͤn, und
dieſe Nachahmung des Herrn iſt loͤblich; Sie
ſollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey
wohlhabenden und reichen Leuten zu Tiſche
ſaß, wo es gut her ging, und daß er ſelbſt
den Wohlgeruch des Balſams nicht verſchmaͤh¬
te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil
finden koͤnnten.“
Dieſer luſtige Anfang ſetzte mich gleich in
guten Humor und wir neckten einander eine
ziemliche Weile herum. Die Frau ſtand be¬
denklich, wie ſie einen ſolchen Gaſt unterbrin¬
gen und bewirthen ſolle? Auch hieruͤber hatte
er ſehr artige Einfaͤlle, die ſich nicht allein
auf die Bibel, ſondern auch auf Gottfrieds
Chronik bezogen, und als wir einig waren,
daß ich bleiben ſolle, ſo gab ich meinen Beu¬
tel, wie er war, der Wirthinn zum Aufhe¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/264>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.