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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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stellte mich vor und ich durfte nicht lange auf¬
merken, so fand ich, daß es auf Mystifica¬
tion eines jungen Menschen hinausgehe, der
als ein Neuling sich durch ein vorlautes, an¬
maßliches Wesen auszeichnete: ich nahm mich
daher gar sehr in Acht, daß man nicht etwa
Lust finden möchte, mich zu seinem Gefähr¬
ten auszuersehen. Bey Tische ward jene Ab¬
sicht Jedermann deutlicher, nur nicht ihm. Man
zechte immer stärker, und als man zuletzt sei¬
ner Geliebten zu Ehren gleichfalls ein Vivat
angestimmt; so schwur jeder hoch und theuer,
aus diesen Gläsern dürfe nun weiter kein
Trunk geschehen; man warf sie hinter sich,
und dieß war das Signal zu weit größeren
Thorheiten. Endlich entzog ich mich ganz
sachte, und der Kellner, indem er mir eine
sehr billige Zeche abforderte, ersuchte mich
wiederzukommen, da es nicht alle Abende so
bunt hergehe. Ich hatte weit in mein Quar¬
tier, und es war nah an Mitternacht als ich
es erreichte. Die Thüren fand ich unver¬

ſtellte mich vor und ich durfte nicht lange auf¬
merken, ſo fand ich, daß es auf Myſtifica¬
tion eines jungen Menſchen hinausgehe, der
als ein Neuling ſich durch ein vorlautes, an¬
maßliches Weſen auszeichnete: ich nahm mich
daher gar ſehr in Acht, daß man nicht etwa
Luſt finden moͤchte, mich zu ſeinem Gefaͤhr¬
ten auszuerſehen. Bey Tiſche ward jene Ab¬
ſicht Jedermann deutlicher, nur nicht ihm. Man
zechte immer ſtaͤrker, und als man zuletzt ſei¬
ner Geliebten zu Ehren gleichfalls ein Vivat
angeſtimmt; ſo ſchwur jeder hoch und theuer,
aus dieſen Glaͤſern duͤrfe nun weiter kein
Trunk geſchehen; man warf ſie hinter ſich,
und dieß war das Signal zu weit groͤßeren
Thorheiten. Endlich entzog ich mich ganz
ſachte, und der Kellner, indem er mir eine
ſehr billige Zeche abforderte, erſuchte mich
wiederzukommen, da es nicht alle Abende ſo
bunt hergehe. Ich hatte weit in mein Quar¬
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[263/0271] ſtellte mich vor und ich durfte nicht lange auf¬ merken, ſo fand ich, daß es auf Myſtifica¬ tion eines jungen Menſchen hinausgehe, der als ein Neuling ſich durch ein vorlautes, an¬ maßliches Weſen auszeichnete: ich nahm mich daher gar ſehr in Acht, daß man nicht etwa Luſt finden moͤchte, mich zu ſeinem Gefaͤhr¬ ten auszuerſehen. Bey Tiſche ward jene Ab¬ ſicht Jedermann deutlicher, nur nicht ihm. Man zechte immer ſtaͤrker, und als man zuletzt ſei¬ ner Geliebten zu Ehren gleichfalls ein Vivat angeſtimmt; ſo ſchwur jeder hoch und theuer, aus dieſen Glaͤſern duͤrfe nun weiter kein Trunk geſchehen; man warf ſie hinter ſich, und dieß war das Signal zu weit groͤßeren Thorheiten. Endlich entzog ich mich ganz ſachte, und der Kellner, indem er mir eine ſehr billige Zeche abforderte, erſuchte mich wiederzukommen, da es nicht alle Abende ſo bunt hergehe. Ich hatte weit in mein Quar¬ tier, und es war nah an Mitternacht als ich es erreichte. Die Thuͤren fand ich unver¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/271>, abgerufen am 20.05.2024.