Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

schlossen, alles war zu Bette und eine Lampe
erleuchtete den enghäuslichen Zustand, wo
denn mein immer mehr geübtes Auge sogleich
das schönste Bild von Schalken erblickte,
von dem ich mich nicht losmachen konnte, so
daß es mir allen Schlaf vertrieb.

Die wenigen Tage meines Aufenthalts in
Dresden waren allein der Gemäldegallerie ge¬
widmet. Die Antiken standen noch in den
Pavillons des großen Gartens, ich lehnte ab
sie zu sehen, so wie alles Uebrige was Dres¬
den köstliches enthielt; nur zu voll von der
Ueberzeugung, daß in und an der Gemälde¬
sammlung selbst mir noch Vieles verborgen
bleiben müsse. So nahm ich den Werth der
italienischen Meister mehr auf Treu und Glau¬
ben an, als daß ich mir eine Einsicht in den¬
selben hätte anmaßen können. Was ich nicht
als Natur ansehen, an die Stelle der Natur
setzen, mit einem bekannten Gegenstand ver¬
gleichen konnte, war auf mich nicht wirksam.

ſchloſſen, alles war zu Bette und eine Lampe
erleuchtete den enghaͤuslichen Zuſtand, wo
denn mein immer mehr geuͤbtes Auge ſogleich
das ſchoͤnſte Bild von Schalken erblickte,
von dem ich mich nicht losmachen konnte, ſo
daß es mir allen Schlaf vertrieb.

Die wenigen Tage meines Aufenthalts in
Dresden waren allein der Gemaͤldegallerie ge¬
widmet. Die Antiken ſtanden noch in den
Pavillons des großen Gartens, ich lehnte ab
ſie zu ſehen, ſo wie alles Uebrige was Dres¬
den koͤſtliches enthielt; nur zu voll von der
Ueberzeugung, daß in und an der Gemaͤlde¬
ſammlung ſelbſt mir noch Vieles verborgen
bleiben muͤſſe. So nahm ich den Werth der
italieniſchen Meiſter mehr auf Treu und Glau¬
ben an, als daß ich mir eine Einſicht in den¬
ſelben haͤtte anmaßen koͤnnen. Was ich nicht
als Natur anſehen, an die Stelle der Natur
ſetzen, mit einem bekannten Gegenſtand ver¬
gleichen konnte, war auf mich nicht wirkſam.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0272" n="264"/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, alles war zu Bette und eine Lampe<lb/>
erleuchtete den engha&#x0364;uslichen Zu&#x017F;tand, wo<lb/>
denn mein immer mehr geu&#x0364;btes Auge &#x017F;ogleich<lb/>
das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Bild von <hi rendition="#g">Schalken</hi> erblickte,<lb/>
von dem ich mich nicht losmachen konnte, &#x017F;o<lb/>
daß es mir allen Schlaf vertrieb.</p><lb/>
        <p>Die wenigen Tage meines Aufenthalts in<lb/>
Dresden waren allein der Gema&#x0364;ldegallerie ge¬<lb/>
widmet. Die Antiken &#x017F;tanden noch in den<lb/>
Pavillons des großen Gartens, ich lehnte ab<lb/>
&#x017F;ie zu &#x017F;ehen, &#x017F;o wie alles Uebrige was Dres¬<lb/>
den ko&#x0364;&#x017F;tliches enthielt; nur zu voll von der<lb/>
Ueberzeugung, daß in und an der Gema&#x0364;lde¬<lb/>
&#x017F;ammlung &#x017F;elb&#x017F;t mir noch Vieles verborgen<lb/>
bleiben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. So nahm ich den Werth der<lb/>
italieni&#x017F;chen Mei&#x017F;ter mehr auf Treu und Glau¬<lb/>
ben an, als daß ich mir eine Ein&#x017F;icht in den¬<lb/>
&#x017F;elben ha&#x0364;tte anmaßen ko&#x0364;nnen. Was ich nicht<lb/>
als Natur an&#x017F;ehen, an die Stelle der Natur<lb/>
&#x017F;etzen, mit einem bekannten Gegen&#x017F;tand ver¬<lb/>
gleichen konnte, war auf mich nicht wirk&#x017F;am.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0272] ſchloſſen, alles war zu Bette und eine Lampe erleuchtete den enghaͤuslichen Zuſtand, wo denn mein immer mehr geuͤbtes Auge ſogleich das ſchoͤnſte Bild von Schalken erblickte, von dem ich mich nicht losmachen konnte, ſo daß es mir allen Schlaf vertrieb. Die wenigen Tage meines Aufenthalts in Dresden waren allein der Gemaͤldegallerie ge¬ widmet. Die Antiken ſtanden noch in den Pavillons des großen Gartens, ich lehnte ab ſie zu ſehen, ſo wie alles Uebrige was Dres¬ den koͤſtliches enthielt; nur zu voll von der Ueberzeugung, daß in und an der Gemaͤlde¬ ſammlung ſelbſt mir noch Vieles verborgen bleiben muͤſſe. So nahm ich den Werth der italieniſchen Meiſter mehr auf Treu und Glau¬ ben an, als daß ich mir eine Einſicht in den¬ ſelben haͤtte anmaßen koͤnnen. Was ich nicht als Natur anſehen, an die Stelle der Natur ſetzen, mit einem bekannten Gegenſtand ver¬ gleichen konnte, war auf mich nicht wirkſam.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/272
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/272>, abgerufen am 20.05.2024.