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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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er an einem breiten Arbeitstisch am großen
Giebelfenster, in einer sehr ordentlichen und
reinlichen Stube, wo ihm Frau und zwey
Töchter häusliche Gesellschaft leisteten. Von
diesen letzten ist die eine glücklich verheiratet
und die andere eine vorzügliche Künstlerinn;
sie sind lebenslänglich meine Freundinnen ge¬
blieben. Ich theilte nun meine Zeit zwischen
den obern und untern Stockwerken und atta¬
chirte mich sehr an den Mann, der bey sei¬
nem anhaltenden Fleiße einen herrlichen Hu¬
mor besaß und die Gutmüthigkeit selbst war.

Mich reizte die reinliche Technik dieser
Kunstart, und ich gesellte mich zu ihm, um
auch etwas dergleichen zu verfertigen. Meine
Neigung hatte sich wieder auf die Landschaft
gelenkt, die mir bey einsamen Spazirgängen
unterhaltend, an sich erreichbar und in den
Kunstwerken faßlicher erschien als die mensch¬
liche Figur, die mich abschreckte. Ich radirte
daher unter seiner Anleitung verschiedene Land¬

II. 18

er an einem breiten Arbeitstiſch am großen
Giebelfenſter, in einer ſehr ordentlichen und
reinlichen Stube, wo ihm Frau und zwey
Toͤchter haͤusliche Geſellſchaft leiſteten. Von
dieſen letzten iſt die eine gluͤcklich verheiratet
und die andere eine vorzuͤgliche Kuͤnſtlerinn;
ſie ſind lebenslaͤnglich meine Freundinnen ge¬
blieben. Ich theilte nun meine Zeit zwiſchen
den obern und untern Stockwerken und atta¬
chirte mich ſehr an den Mann, der bey ſei¬
nem anhaltenden Fleiße einen herrlichen Hu¬
mor beſaß und die Gutmuͤthigkeit ſelbſt war.

Mich reizte die reinliche Technik dieſer
Kunſtart, und ich geſellte mich zu ihm, um
auch etwas dergleichen zu verfertigen. Meine
Neigung hatte ſich wieder auf die Landſchaft
gelenkt, die mir bey einſamen Spazirgaͤngen
unterhaltend, an ſich erreichbar und in den
Kunſtwerken faßlicher erſchien als die menſch¬
liche Figur, die mich abſchreckte. Ich radirte
daher unter ſeiner Anleitung verſchiedene Land¬

II. 18
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[273/0281] er an einem breiten Arbeitstiſch am großen Giebelfenſter, in einer ſehr ordentlichen und reinlichen Stube, wo ihm Frau und zwey Toͤchter haͤusliche Geſellſchaft leiſteten. Von dieſen letzten iſt die eine gluͤcklich verheiratet und die andere eine vorzuͤgliche Kuͤnſtlerinn; ſie ſind lebenslaͤnglich meine Freundinnen ge¬ blieben. Ich theilte nun meine Zeit zwiſchen den obern und untern Stockwerken und atta¬ chirte mich ſehr an den Mann, der bey ſei¬ nem anhaltenden Fleiße einen herrlichen Hu¬ mor beſaß und die Gutmuͤthigkeit ſelbſt war. Mich reizte die reinliche Technik dieſer Kunſtart, und ich geſellte mich zu ihm, um auch etwas dergleichen zu verfertigen. Meine Neigung hatte ſich wieder auf die Landſchaft gelenkt, die mir bey einſamen Spazirgaͤngen unterhaltend, an ſich erreichbar und in den Kunſtwerken faßlicher erſchien als die menſch¬ liche Figur, die mich abſchreckte. Ich radirte daher unter ſeiner Anleitung verſchiedene Land¬ II. 18

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/281>, abgerufen am 21.11.2024.