mich sogar im Rest stehen könne, und ich war kühn genug zu glauben, daß ich ihm einiges zu verzeihen hätte. Dieser Dünkel gründete sich auf meinen unendlich guten Willen, dem er, wie mir schien, besser hätte zu Hülfe kom¬ men sollen. Es läßt sich denken, wie oft ich und meine Freundinn hierüber in Streit ge¬ riethen, der sich doch immer auf die freundlich¬ ste Weise und manchmal, wie meine Unter¬ haltung mit dem alten Rector, damit endig¬ te: daß ich ein närrischer Bursche sey, dem man manches nachsehen müsse.
Da ich mit der Geschwulst am Halse sehr geplagt war, indem Arzt und Chirurgus diese Excrescens erst vertreiben, hernach, wie sie sagten, zeitigen wollten, und sie zuletzt aufzu¬ schneiden für gut befanden; so hatte ich eine geraume Zeit mehr an Unbequemlichkeit als an Schmerzen zu leiden, obgleich gegen das En¬ de der Heilung das immer fortdauernde Be¬ tupfen mit Höllenstein und andern ätzenden
mich ſogar im Reſt ſtehen koͤnne, und ich war kuͤhn genug zu glauben, daß ich ihm einiges zu verzeihen haͤtte. Dieſer Duͤnkel gruͤndete ſich auf meinen unendlich guten Willen, dem er, wie mir ſchien, beſſer haͤtte zu Huͤlfe kom¬ men ſollen. Es laͤßt ſich denken, wie oft ich und meine Freundinn hieruͤber in Streit ge¬ riethen, der ſich doch immer auf die freundlich¬ ſte Weiſe und manchmal, wie meine Unter¬ haltung mit dem alten Rector, damit endig¬ te: daß ich ein naͤrriſcher Burſche ſey, dem man manches nachſehen muͤſſe.
Da ich mit der Geſchwulſt am Halſe ſehr geplagt war, indem Arzt und Chirurgus dieſe Excrescens erſt vertreiben, hernach, wie ſie ſagten, zeitigen wollten, und ſie zuletzt aufzu¬ ſchneiden fuͤr gut befanden; ſo hatte ich eine geraume Zeit mehr an Unbequemlichkeit als an Schmerzen zu leiden, obgleich gegen das En¬ de der Heilung das immer fortdauernde Be¬ tupfen mit Hoͤllenſtein und andern aͤtzenden
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mich ſogar im Reſt ſtehen koͤnne, und ich war
kuͤhn genug zu glauben, daß ich ihm einiges
zu verzeihen haͤtte. Dieſer Duͤnkel gruͤndete
ſich auf meinen unendlich guten Willen, dem
er, wie mir ſchien, beſſer haͤtte zu Huͤlfe kom¬
men ſollen. Es laͤßt ſich denken, wie oft ich
und meine Freundinn hieruͤber in Streit ge¬
riethen, der ſich doch immer auf die freundlich¬
ſte Weiſe und manchmal, wie meine Unter¬
haltung mit dem alten Rector, damit endig¬
te: daß ich ein naͤrriſcher Burſche ſey, dem
man manches nachſehen muͤſſe.
Da ich mit der Geſchwulſt am Halſe ſehr
geplagt war, indem Arzt und Chirurgus dieſe
Excrescens erſt vertreiben, hernach, wie ſie
ſagten, zeitigen wollten, und ſie zuletzt aufzu¬
ſchneiden fuͤr gut befanden; ſo hatte ich eine
geraume Zeit mehr an Unbequemlichkeit als an
Schmerzen zu leiden, obgleich gegen das En¬
de der Heilung das immer fortdauernde Be¬
tupfen mit Hoͤllenſtein und andern aͤtzenden
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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