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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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nes, das ich zwar kannte, aber dem zu fol¬
gen ich weder Fertigkeit noch Geduld hatte.
Wirklich war auch in diesem Puncte die Pä¬
dagogik meines Vaters zu bewundern. Er
fragte wohlwollend nach meinen Versuchen, und
zog Linien um jede unvollkommene Skizze:
er wollte mich dadurch zur Vollständigkeit und
Ausführlichkeit nöthigen; die unregelmäßi¬
gen Blätter schnitt er zurechte, und machte
damit den Anfang zu einer Sammlung, in
der er sich dereinst der Fortschritte seines Soh¬
nes freuen wollte. Es war ihm daher kei¬
neswegs unangenehm, wenn mich mein wil¬
des unstätes Wesen in der Gegend umher¬
trieb, vielmehr zeigte er sich zufrieden, wenn
ich nur irgend ein Heft zurückbrachte, an dem
er seine Geduld üben und seine Hoffnungen
einigermaßen stärken konnte.

Man sorgte nicht mehr, daß ich in mei¬
ne früheren Neigungen und Verhältnisse zu¬
rückfallen könnte, man ließ mir nach und nach

nes, das ich zwar kannte, aber dem zu fol¬
gen ich weder Fertigkeit noch Geduld hatte.
Wirklich war auch in dieſem Puncte die Paͤ¬
dagogik meines Vaters zu bewundern. Er
fragte wohlwollend nach meinen Verſuchen, und
zog Linien um jede unvollkommene Skizze:
er wollte mich dadurch zur Vollſtaͤndigkeit und
Ausfuͤhrlichkeit noͤthigen; die unregelmaͤßi¬
gen Blaͤtter ſchnitt er zurechte, und machte
damit den Anfang zu einer Sammlung, in
der er ſich dereinſt der Fortſchritte ſeines Soh¬
nes freuen wollte. Es war ihm daher kei¬
neswegs unangenehm, wenn mich mein wil¬
des unſtaͤtes Weſen in der Gegend umher¬
trieb, vielmehr zeigte er ſich zufrieden, wenn
ich nur irgend ein Heft zuruͤckbrachte, an dem
er ſeine Geduld uͤben und ſeine Hoffnungen
einigermaßen ſtaͤrken konnte.

Man ſorgte nicht mehr, daß ich in mei¬
ne fruͤheren Neigungen und Verhaͤltniſſe zu¬
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[24/0032] nes, das ich zwar kannte, aber dem zu fol¬ gen ich weder Fertigkeit noch Geduld hatte. Wirklich war auch in dieſem Puncte die Paͤ¬ dagogik meines Vaters zu bewundern. Er fragte wohlwollend nach meinen Verſuchen, und zog Linien um jede unvollkommene Skizze: er wollte mich dadurch zur Vollſtaͤndigkeit und Ausfuͤhrlichkeit noͤthigen; die unregelmaͤßi¬ gen Blaͤtter ſchnitt er zurechte, und machte damit den Anfang zu einer Sammlung, in der er ſich dereinſt der Fortſchritte ſeines Soh¬ nes freuen wollte. Es war ihm daher kei¬ neswegs unangenehm, wenn mich mein wil¬ des unſtaͤtes Weſen in der Gegend umher¬ trieb, vielmehr zeigte er ſich zufrieden, wenn ich nur irgend ein Heft zuruͤckbrachte, an dem er ſeine Geduld uͤben und ſeine Hoffnungen einigermaßen ſtaͤrken konnte. Man ſorgte nicht mehr, daß ich in mei¬ ne fruͤheren Neigungen und Verhaͤltniſſe zu¬ ruͤckfallen koͤnnte, man ließ mir nach und nach

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/32>, abgerufen am 28.04.2024.