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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Aufmerksamkeit meines Vaters schuldig. Die¬
ser, durch meinen Aufseher benachrichtiget, daß
ich mich nach und nach in meinen Zustand
finde und besonders mich leidenschaftlich auf
das Zeichnen nach der Natur gewendet habe,
war damit gar wohl zufrieden, theils weil er
selbst sehr viel auf Zeichnung und Malerey
hielt, theils weil Gevatter Seekaz ihm eini¬
gemal gesagt hatte, es sey Schade, daß ich
nicht zum Maler bestimmt sey. Allein hier
kamen die Eigenheiten des Vaters und Sohns
wieder zum Conflict: denn es war mir fast
unmöglich, bey meinen Zeichnungen ein gutes,
weißes, völlig reines Papier zu gebrauchen;
graue veraltete, ja schon von einer Seite be¬
schriebene Blätter reizten mich am meisten,
eben als wenn meine Unfähigkeit sich vor dem
Prüfstein eines weißen Grundes gefürchtet
hätte. So war auch keine Zeichnung ganz
ausgefüllt; und wie hätte ich denn ein Gan¬
zes leisten sollen, das ich wohl mit Augen
sah, aber nicht begriff, und wie ein Einzel¬

Aufmerkſamkeit meines Vaters ſchuldig. Die¬
ſer, durch meinen Aufſeher benachrichtiget, daß
ich mich nach und nach in meinen Zuſtand
finde und beſonders mich leidenſchaftlich auf
das Zeichnen nach der Natur gewendet habe,
war damit gar wohl zufrieden, theils weil er
ſelbſt ſehr viel auf Zeichnung und Malerey
hielt, theils weil Gevatter Seekaz ihm eini¬
gemal geſagt hatte, es ſey Schade, daß ich
nicht zum Maler beſtimmt ſey. Allein hier
kamen die Eigenheiten des Vaters und Sohns
wieder zum Conflict: denn es war mir faſt
unmoͤglich, bey meinen Zeichnungen ein gutes,
weißes, voͤllig reines Papier zu gebrauchen;
graue veraltete, ja ſchon von einer Seite be¬
ſchriebene Blaͤtter reizten mich am meiſten,
eben als wenn meine Unfaͤhigkeit ſich vor dem
Pruͤfſtein eines weißen Grundes gefuͤrchtet
haͤtte. So war auch keine Zeichnung ganz
ausgefuͤllt; und wie haͤtte ich denn ein Gan¬
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[23/0031] Aufmerkſamkeit meines Vaters ſchuldig. Die¬ ſer, durch meinen Aufſeher benachrichtiget, daß ich mich nach und nach in meinen Zuſtand finde und beſonders mich leidenſchaftlich auf das Zeichnen nach der Natur gewendet habe, war damit gar wohl zufrieden, theils weil er ſelbſt ſehr viel auf Zeichnung und Malerey hielt, theils weil Gevatter Seekaz ihm eini¬ gemal geſagt hatte, es ſey Schade, daß ich nicht zum Maler beſtimmt ſey. Allein hier kamen die Eigenheiten des Vaters und Sohns wieder zum Conflict: denn es war mir faſt unmoͤglich, bey meinen Zeichnungen ein gutes, weißes, voͤllig reines Papier zu gebrauchen; graue veraltete, ja ſchon von einer Seite be¬ ſchriebene Blaͤtter reizten mich am meiſten, eben als wenn meine Unfaͤhigkeit ſich vor dem Pruͤfſtein eines weißen Grundes gefuͤrchtet haͤtte. So war auch keine Zeichnung ganz ausgefuͤllt; und wie haͤtte ich denn ein Gan¬ zes leiſten ſollen, das ich wohl mit Augen ſah, aber nicht begriff, und wie ein Einzel¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/31>, abgerufen am 27.04.2024.