Collegium überliefert oder gerathen, sogleich wieder gegen meine Schwester gewendet, ohne einzusehen, daß sowohl im Leben als im Lesen etwas dem Jüngling gemäß seyn könne, ohne sich für ein Frauenzimmer zu schicken; und wir scherzten gemeinschaftlich über diese Nachäffe¬ rey. Auch waren mir die Gedichte, die ich in Leipzig verfaßt hatte, schon zu gering, und sie schienen mir kalt, trocken und in Absicht dessen was die Zustände des menschlichen Her¬ zens oder Geistes ausdrücken sollte, allzu oberflächlich. Dieses bewog mich, als ich nun abermals das väterliche Haus verlassen und auf eine zweyte Academie ziehen sollte, wie¬ der ein großes Haupt-Autodafe über meine Arbeiten zu verhängen. Mehrere angefangene Stücke, deren einige bis zum dritten oder vier¬ ten Act, andere aber nur bis zu vollendeter Exposition gelangt waren, nebst vielen andern Gedichten, Briefen und Papieren wurden dem Feuer übergeben, und kaum blieb etwas ver¬ schont außer dem Manuscript von Behrisch,
Collegium uͤberliefert oder gerathen, ſogleich wieder gegen meine Schweſter gewendet, ohne einzuſehen, daß ſowohl im Leben als im Leſen etwas dem Juͤngling gemaͤß ſeyn koͤnne, ohne ſich fuͤr ein Frauenzimmer zu ſchicken; und wir ſcherzten gemeinſchaftlich uͤber dieſe Nachaͤffe¬ rey. Auch waren mir die Gedichte, die ich in Leipzig verfaßt hatte, ſchon zu gering, und ſie ſchienen mir kalt, trocken und in Abſicht deſſen was die Zuſtaͤnde des menſchlichen Her¬ zens oder Geiſtes ausdruͤcken ſollte, allzu oberflaͤchlich. Dieſes bewog mich, als ich nun abermals das vaͤterliche Haus verlaſſen und auf eine zweyte Academie ziehen ſollte, wie¬ der ein großes Haupt-Autodafé uͤber meine Arbeiten zu verhaͤngen. Mehrere angefangene Stuͤcke, deren einige bis zum dritten oder vier¬ ten Act, andere aber nur bis zu vollendeter Expoſition gelangt waren, nebſt vielen andern Gedichten, Briefen und Papieren wurden dem Feuer uͤbergeben, und kaum blieb etwas ver¬ ſchont außer dem Manuſcript von Behriſch,
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Collegium uͤberliefert oder gerathen, ſogleich
wieder gegen meine Schweſter gewendet, ohne
einzuſehen, daß ſowohl im Leben als im Leſen
etwas dem Juͤngling gemaͤß ſeyn koͤnne, ohne
ſich fuͤr ein Frauenzimmer zu ſchicken; und wir
ſcherzten gemeinſchaftlich uͤber dieſe Nachaͤffe¬
rey. Auch waren mir die Gedichte, die ich
in Leipzig verfaßt hatte, ſchon zu gering, und
ſie ſchienen mir kalt, trocken und in Abſicht
deſſen was die Zuſtaͤnde des menſchlichen Her¬
zens oder Geiſtes ausdruͤcken ſollte, allzu
oberflaͤchlich. Dieſes bewog mich, als ich nun
abermals das vaͤterliche Haus verlaſſen und
auf eine zweyte Academie ziehen ſollte, wie¬
der ein großes Haupt-Autodafé uͤber meine
Arbeiten zu verhaͤngen. Mehrere angefangene
Stuͤcke, deren einige bis zum dritten oder vier¬
ten Act, andere aber nur bis zu vollendeter
Expoſition gelangt waren, nebſt vielen andern
Gedichten, Briefen und Papieren wurden dem
Feuer uͤbergeben, und kaum blieb etwas ver¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/336>, abgerufen am 24.11.2024.
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