Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

dazu, eine weite und breite Landschaft als
Bild zu begreifen! Unmerklich wieder zog es
mich jedoch ins Enge, wo ich einige Ausbeu¬
te fand: denn ich traf kein verfallenes Schloß,
kein Gemäuer, das auf die Vorzeit hindeute¬
te, daß ich es nicht für einen würdigen Ge¬
genstand gehalten und so gut als möglich nach¬
gebildet hätte. Selbst den Drusenstein auf
dem Walle zu Maynz zeichnete ich mit eini¬
ger Gefahr und mit Unstatten, die ein Jeder
erleben muß, der sich von Reisen einige bild¬
liche Erinnerungen mit nach Hause nehmen
will. Leider hatte ich abermals nur das
schlechteste Conceptpapier mitgenommen und
mehrere Gegenstände unschicklich auf ein Blatt
gehäuft; aber mein väterlicher Lehrer ließ sich
dadurch nicht irre machen; er schnitt die Blät¬
ter aus einander, ließ das Zusammenpassende
durch den Buchbinder aufziehen, faßte die
einzelnen Blätter in Linien und nöthigte mich
dadurch wirklich, die Umrisse verschiedener
Berge bis an den Rand zu ziehen und den

dazu, eine weite und breite Landſchaft als
Bild zu begreifen! Unmerklich wieder zog es
mich jedoch ins Enge, wo ich einige Ausbeu¬
te fand: denn ich traf kein verfallenes Schloß,
kein Gemaͤuer, das auf die Vorzeit hindeute¬
te, daß ich es nicht fuͤr einen wuͤrdigen Ge¬
genſtand gehalten und ſo gut als moͤglich nach¬
gebildet haͤtte. Selbſt den Druſenſtein auf
dem Walle zu Maynz zeichnete ich mit eini¬
ger Gefahr und mit Unſtatten, die ein Jeder
erleben muß, der ſich von Reiſen einige bild¬
liche Erinnerungen mit nach Hauſe nehmen
will. Leider hatte ich abermals nur das
ſchlechteſte Conceptpapier mitgenommen und
mehrere Gegenſtaͤnde unſchicklich auf ein Blatt
gehaͤuft; aber mein vaͤterlicher Lehrer ließ ſich
dadurch nicht irre machen; er ſchnitt die Blaͤt¬
ter aus einander, ließ das Zuſammenpaſſende
durch den Buchbinder aufziehen, faßte die
einzelnen Blaͤtter in Linien und noͤthigte mich
dadurch wirklich, die Umriſſe verſchiedener
Berge bis an den Rand zu ziehen und den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0034" n="26"/>
dazu, eine weite und breite Land&#x017F;chaft als<lb/>
Bild zu begreifen! Unmerklich wieder zog es<lb/>
mich jedoch ins Enge, wo ich einige Ausbeu¬<lb/>
te fand: denn ich traf kein verfallenes Schloß,<lb/>
kein Gema&#x0364;uer, das auf die Vorzeit hindeute¬<lb/>
te, daß ich es nicht fu&#x0364;r einen wu&#x0364;rdigen Ge¬<lb/>
gen&#x017F;tand gehalten und &#x017F;o gut als mo&#x0364;glich nach¬<lb/>
gebildet ha&#x0364;tte. Selb&#x017F;t den Dru&#x017F;en&#x017F;tein auf<lb/>
dem Walle zu Maynz zeichnete ich mit eini¬<lb/>
ger Gefahr und mit Un&#x017F;tatten, die ein Jeder<lb/>
erleben muß, der &#x017F;ich von Rei&#x017F;en einige bild¬<lb/>
liche Erinnerungen mit nach Hau&#x017F;e nehmen<lb/>
will. Leider hatte ich abermals nur das<lb/>
&#x017F;chlechte&#x017F;te Conceptpapier mitgenommen und<lb/>
mehrere Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde un&#x017F;chicklich auf ein Blatt<lb/>
geha&#x0364;uft; aber mein va&#x0364;terlicher Lehrer ließ &#x017F;ich<lb/>
dadurch nicht irre machen; er &#x017F;chnitt die Bla&#x0364;<lb/>
ter aus einander, ließ das Zu&#x017F;ammenpa&#x017F;&#x017F;ende<lb/>
durch den Buchbinder aufziehen, faßte die<lb/>
einzelnen Bla&#x0364;tter in Linien und no&#x0364;thigte mich<lb/>
dadurch wirklich, die Umri&#x017F;&#x017F;e ver&#x017F;chiedener<lb/>
Berge bis an den Rand zu ziehen und den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0034] dazu, eine weite und breite Landſchaft als Bild zu begreifen! Unmerklich wieder zog es mich jedoch ins Enge, wo ich einige Ausbeu¬ te fand: denn ich traf kein verfallenes Schloß, kein Gemaͤuer, das auf die Vorzeit hindeute¬ te, daß ich es nicht fuͤr einen wuͤrdigen Ge¬ genſtand gehalten und ſo gut als moͤglich nach¬ gebildet haͤtte. Selbſt den Druſenſtein auf dem Walle zu Maynz zeichnete ich mit eini¬ ger Gefahr und mit Unſtatten, die ein Jeder erleben muß, der ſich von Reiſen einige bild¬ liche Erinnerungen mit nach Hauſe nehmen will. Leider hatte ich abermals nur das ſchlechteſte Conceptpapier mitgenommen und mehrere Gegenſtaͤnde unſchicklich auf ein Blatt gehaͤuft; aber mein vaͤterlicher Lehrer ließ ſich dadurch nicht irre machen; er ſchnitt die Blaͤt¬ ter aus einander, ließ das Zuſammenpaſſende durch den Buchbinder aufziehen, faßte die einzelnen Blaͤtter in Linien und noͤthigte mich dadurch wirklich, die Umriſſe verſchiedener Berge bis an den Rand zu ziehen und den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/34
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/34>, abgerufen am 21.11.2024.