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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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"Das Herz wird ferner öfters zum Vor¬
theil verschiedener, besonders geselliger und
feiner Tugenden gerührt, und die zarteren
Empfindungen werden in ihm erregt und ent¬
wickelt werden. Besonders werden sich viele
Züge eindrücken, welche dem jungen Leser ei¬
ne Einsicht in den verborgenern Winkel des
menschlichen Herzens und seiner Leidenschaf¬
ten geben, eine Kenntniß, die mehr als alles
Latein und Griechisch werth ist, und von
welcher Ovid ein gar vortrefflicher Meister
war. Aber dieß ist es noch nicht, warum
man eigentlich der Jugend die alten Dichter
und also auch den Ovid in die Hände giebt.
Wir haben von dem gütigen Schöpfer eine
Menge Seelenkräfte, welchen man ihre ge¬
hörige Cultur, und zwar in den ersten Jah¬

22 *

„Das Herz wird ferner oͤfters zum Vor¬
theil verſchiedener, beſonders geſelliger und
feiner Tugenden geruͤhrt, und die zarteren
Empfindungen werden in ihm erregt und ent¬
wickelt werden. Beſonders werden ſich viele
Zuͤge eindruͤcken, welche dem jungen Leſer ei¬
ne Einſicht in den verborgenern Winkel des
menſchlichen Herzens und ſeiner Leidenſchaf¬
ten geben, eine Kenntniß, die mehr als alles
Latein und Griechiſch werth iſt, und von
welcher Ovid ein gar vortrefflicher Meiſter
war. Aber dieß iſt es noch nicht, warum
man eigentlich der Jugend die alten Dichter
und alſo auch den Ovid in die Haͤnde giebt.
Wir haben von dem guͤtigen Schoͤpfer eine
Menge Seelenkraͤfte, welchen man ihre ge¬
hoͤrige Cultur, und zwar in den erſten Jah¬

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[[339]/0347] „Das Herz wird ferner oͤfters zum Vor¬ theil verſchiedener, beſonders geſelliger und feiner Tugenden geruͤhrt, und die zarteren Empfindungen werden in ihm erregt und ent¬ wickelt werden. Beſonders werden ſich viele Zuͤge eindruͤcken, welche dem jungen Leſer ei¬ ne Einſicht in den verborgenern Winkel des menſchlichen Herzens und ſeiner Leidenſchaf¬ ten geben, eine Kenntniß, die mehr als alles Latein und Griechiſch werth iſt, und von welcher Ovid ein gar vortrefflicher Meiſter war. Aber dieß iſt es noch nicht, warum man eigentlich der Jugend die alten Dichter und alſo auch den Ovid in die Haͤnde giebt. Wir haben von dem guͤtigen Schoͤpfer eine Menge Seelenkraͤfte, welchen man ihre ge¬ hoͤrige Cultur, und zwar in den erſten Jah¬ 22 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. [339]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/347>, abgerufen am 24.11.2024.