Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

gemeiner encyclopädischer Ueberblick, und nicht
als eigentliche bestimmte Kenntniß gelten konn¬
te. Das academische Leben, wenn wir uns
auch bey demselben des eigentlichen Fleißes
nicht zu rühmen haben, gewährt doch in je¬
der Art von Ausbildung unendliche Vortheile,
weil wir stets von Menschen umgeben sind,
welche die Wissenschaft besitzen oder suchen,
so daß wir aus einer solchen Atmosphäre,
wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬
rung ziehen.

Mein Repetent, nachdem er mit meinem
Umhervagiren im Discurse einige Zeit Ge¬
duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich,
daß ich vor allen Dingen meine nächste Ab¬
sicht im Auge behalten müsse, die nämlich,
mich examiniren zu lassen, zu promoviren und
alsdann allenfalls in die Praxis überzugehen.
Um bey dem ersten stehen zu bleiben, sagte
er, so wird die Sache keineswegs im Weiten
gesucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und

23 *

gemeiner encyclopaͤdiſcher Ueberblick, und nicht
als eigentliche beſtimmte Kenntniß gelten konn¬
te. Das academiſche Leben, wenn wir uns
auch bey demſelben des eigentlichen Fleißes
nicht zu ruͤhmen haben, gewaͤhrt doch in je¬
der Art von Ausbildung unendliche Vortheile,
weil wir ſtets von Menſchen umgeben ſind,
welche die Wiſſenſchaft beſitzen oder ſuchen,
ſo daß wir aus einer ſolchen Atmoſphaͤre,
wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬
rung ziehen.

Mein Repetent, nachdem er mit meinem
Umhervagiren im Discurſe einige Zeit Ge¬
duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich,
daß ich vor allen Dingen meine naͤchſte Ab¬
ſicht im Auge behalten muͤſſe, die naͤmlich,
mich examiniren zu laſſen, zu promoviren und
alsdann allenfalls in die Praxis uͤberzugehen.
Um bey dem erſten ſtehen zu bleiben, ſagte
er, ſo wird die Sache keineswegs im Weiten
geſucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und

23 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0363" n="355"/>
gemeiner encyclopa&#x0364;di&#x017F;cher Ueberblick, und nicht<lb/>
als eigentliche be&#x017F;timmte Kenntniß gelten konn¬<lb/>
te. Das academi&#x017F;che Leben, wenn wir uns<lb/>
auch bey dem&#x017F;elben des eigentlichen Fleißes<lb/>
nicht zu ru&#x0364;hmen haben, gewa&#x0364;hrt doch in je¬<lb/>
der Art von Ausbildung unendliche Vortheile,<lb/>
weil wir &#x017F;tets von Men&#x017F;chen umgeben &#x017F;ind,<lb/>
welche die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft be&#x017F;itzen oder &#x017F;uchen,<lb/>
&#x017F;o daß wir aus einer &#x017F;olchen Atmo&#x017F;pha&#x0364;re,<lb/>
wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬<lb/>
rung ziehen.</p><lb/>
        <p>Mein Repetent, nachdem er mit meinem<lb/>
Umhervagiren im Discur&#x017F;e einige Zeit Ge¬<lb/>
duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich,<lb/>
daß ich vor allen Dingen meine na&#x0364;ch&#x017F;te Ab¬<lb/>
&#x017F;icht im Auge behalten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, die na&#x0364;mlich,<lb/>
mich examiniren zu la&#x017F;&#x017F;en, zu promoviren und<lb/>
alsdann allenfalls in die Praxis u&#x0364;berzugehen.<lb/>
Um bey dem er&#x017F;ten &#x017F;tehen zu bleiben, &#x017F;agte<lb/>
er, &#x017F;o wird die Sache keineswegs im Weiten<lb/>
ge&#x017F;ucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">23 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0363] gemeiner encyclopaͤdiſcher Ueberblick, und nicht als eigentliche beſtimmte Kenntniß gelten konn¬ te. Das academiſche Leben, wenn wir uns auch bey demſelben des eigentlichen Fleißes nicht zu ruͤhmen haben, gewaͤhrt doch in je¬ der Art von Ausbildung unendliche Vortheile, weil wir ſtets von Menſchen umgeben ſind, welche die Wiſſenſchaft beſitzen oder ſuchen, ſo daß wir aus einer ſolchen Atmoſphaͤre, wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬ rung ziehen. Mein Repetent, nachdem er mit meinem Umhervagiren im Discurſe einige Zeit Ge¬ duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich, daß ich vor allen Dingen meine naͤchſte Ab¬ ſicht im Auge behalten muͤſſe, die naͤmlich, mich examiniren zu laſſen, zu promoviren und alsdann allenfalls in die Praxis uͤberzugehen. Um bey dem erſten ſtehen zu bleiben, ſagte er, ſo wird die Sache keineswegs im Weiten geſucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und 23 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/363
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/363>, abgerufen am 20.05.2024.