Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

den kleinsten Umständen gegenwärtig hatte.
Vielmehr ward er öfters, durch einen gerin¬
gen Umstand, mitten aus einer weltgeschicht¬
lichen Erzählung herausgerissen und auf sei¬
nen feindseligen Lieblingsgedanken hingestoßen.

Einer unserer nachmittägigen Spazirgänge
war hierin besonders unglücklich; die Ge¬
schichte desselben stehe hier statt ähnlicher Fäl¬
le, welche den Leser ermüden, wo nicht gar
betrüben könnten.

Auf dem Wege durch die Stadt begegne¬
te uns eine bejahrte Bettlerinn, die ihn,
durch Bitten und Andringen, in seiner Er¬
zählung störte. -- Pack dich, alte Hexe!
sagte er, und ging vorüber. Sie rief ihm
den bekannten Spruch hinterdrein, nur et¬
was verändert, da sie wohl bemerkte, daß
der unfreundliche Mann selbst alt sey: Wenn
Ihr nicht alt werden wolltet, so hättet Ihr
Euch in der Jugend sollen hängen lassen!

den kleinſten Umſtaͤnden gegenwaͤrtig hatte.
Vielmehr ward er oͤfters, durch einen gerin¬
gen Umſtand, mitten aus einer weltgeſchicht¬
lichen Erzaͤhlung herausgeriſſen und auf ſei¬
nen feindſeligen Lieblingsgedanken hingeſtoßen.

Einer unſerer nachmittaͤgigen Spazirgaͤnge
war hierin beſonders ungluͤcklich; die Ge¬
ſchichte deſſelben ſtehe hier ſtatt aͤhnlicher Faͤl¬
le, welche den Leſer ermuͤden, wo nicht gar
betruͤben koͤnnten.

Auf dem Wege durch die Stadt begegne¬
te uns eine bejahrte Bettlerinn, die ihn,
durch Bitten und Andringen, in ſeiner Er¬
zaͤhlung ſtoͤrte. — Pack dich, alte Hexe!
ſagte er, und ging voruͤber. Sie rief ihm
den bekannten Spruch hinterdrein, nur et¬
was veraͤndert, da ſie wohl bemerkte, daß
der unfreundliche Mann ſelbſt alt ſey: Wenn
Ihr nicht alt werden wolltet, ſo haͤttet Ihr
Euch in der Jugend ſollen haͤngen laſſen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0408" n="400"/>
den klein&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nden gegenwa&#x0364;rtig hatte.<lb/>
Vielmehr ward er o&#x0364;fters, durch einen gerin¬<lb/>
gen Um&#x017F;tand, mitten aus einer weltge&#x017F;chicht¬<lb/>
lichen Erza&#x0364;hlung herausgeri&#x017F;&#x017F;en und auf &#x017F;ei¬<lb/>
nen feind&#x017F;eligen Lieblingsgedanken hinge&#x017F;toßen.</p><lb/>
        <p>Einer un&#x017F;erer nachmitta&#x0364;gigen Spazirga&#x0364;nge<lb/>
war hierin be&#x017F;onders unglu&#x0364;cklich; die Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;tehe hier &#x017F;tatt a&#x0364;hnlicher Fa&#x0364;<lb/>
le, welche den Le&#x017F;er ermu&#x0364;den, wo nicht gar<lb/>
betru&#x0364;ben ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
        <p>Auf dem Wege durch die Stadt begegne¬<lb/>
te uns eine bejahrte Bettlerinn, die ihn,<lb/>
durch Bitten und Andringen, in &#x017F;einer Er¬<lb/>
za&#x0364;hlung &#x017F;to&#x0364;rte. &#x2014; Pack dich, alte Hexe!<lb/>
&#x017F;agte er, und ging voru&#x0364;ber. Sie rief ihm<lb/>
den bekannten Spruch hinterdrein, nur et¬<lb/>
was vera&#x0364;ndert, da &#x017F;ie wohl bemerkte, daß<lb/>
der unfreundliche Mann &#x017F;elb&#x017F;t alt &#x017F;ey: Wenn<lb/>
Ihr nicht alt werden wolltet, &#x017F;o ha&#x0364;ttet Ihr<lb/>
Euch in der Jugend &#x017F;ollen ha&#x0364;ngen la&#x017F;&#x017F;en!<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[400/0408] den kleinſten Umſtaͤnden gegenwaͤrtig hatte. Vielmehr ward er oͤfters, durch einen gerin¬ gen Umſtand, mitten aus einer weltgeſchicht¬ lichen Erzaͤhlung herausgeriſſen und auf ſei¬ nen feindſeligen Lieblingsgedanken hingeſtoßen. Einer unſerer nachmittaͤgigen Spazirgaͤnge war hierin beſonders ungluͤcklich; die Ge¬ ſchichte deſſelben ſtehe hier ſtatt aͤhnlicher Faͤl¬ le, welche den Leſer ermuͤden, wo nicht gar betruͤben koͤnnten. Auf dem Wege durch die Stadt begegne¬ te uns eine bejahrte Bettlerinn, die ihn, durch Bitten und Andringen, in ſeiner Er¬ zaͤhlung ſtoͤrte. — Pack dich, alte Hexe! ſagte er, und ging voruͤber. Sie rief ihm den bekannten Spruch hinterdrein, nur et¬ was veraͤndert, da ſie wohl bemerkte, daß der unfreundliche Mann ſelbſt alt ſey: Wenn Ihr nicht alt werden wolltet, ſo haͤttet Ihr Euch in der Jugend ſollen haͤngen laſſen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/408
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/408>, abgerufen am 20.05.2024.