Er kehrte sich heftig herum, und ich fürchtete einen Auftritt. -- Hängen lassen! rief er, mich hängen lassen! Nein das wäre nicht gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl; aber mich hängen, mich selbst aufhängen, das ist wahr, das hätte ich thun sollen; einen Schuß Pulver sollt' ich an mich wenden, um nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth bin. Die Frau stand wie versteinert, er aber fuhr fort: Du hast eine große Wahr¬ heit gesagt, Hexenmutter! und weil man dich noch nicht ersäuft oder verbrannt hat, so sollst du für dein Sprüchlein belohnt werden. Er reichte ihr ein Büsel, das man nicht leicht an einen Bettler zu wenden pflegte.
Wir waren über die erste Rheinbrücke ge¬ kommen und gingen nach dem Wirthshause, wo wir einzukehren gedachten, und ich suchte ihn auf das vorige Gespräch zurückzuführen, als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad ein sehr hübsches Mädchen uns entgegen kam,
II. 26
Er kehrte ſich heftig herum, und ich fuͤrchtete einen Auftritt. — Haͤngen laſſen! rief er, mich haͤngen laſſen! Nein das waͤre nicht gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl; aber mich haͤngen, mich ſelbſt aufhaͤngen, das iſt wahr, das haͤtte ich thun ſollen; einen Schuß Pulver ſollt' ich an mich wenden, um nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth bin. Die Frau ſtand wie verſteinert, er aber fuhr fort: Du haſt eine große Wahr¬ heit geſagt, Hexenmutter! und weil man dich noch nicht erſaͤuft oder verbrannt hat, ſo ſollſt du fuͤr dein Spruͤchlein belohnt werden. Er reichte ihr ein Buͤſel, das man nicht leicht an einen Bettler zu wenden pflegte.
Wir waren uͤber die erſte Rheinbruͤcke ge¬ kommen und gingen nach dem Wirthshauſe, wo wir einzukehren gedachten, und ich ſuchte ihn auf das vorige Geſpraͤch zuruͤckzufuͤhren, als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad ein ſehr huͤbſches Maͤdchen uns entgegen kam,
II. 26
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0409"n="401"/>
Er kehrte ſich heftig herum, und ich fuͤrchtete<lb/>
einen Auftritt. — Haͤngen laſſen! rief er,<lb/>
mich haͤngen laſſen! Nein das waͤre nicht<lb/>
gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl;<lb/>
aber mich haͤngen, mich ſelbſt aufhaͤngen, das<lb/>
iſt wahr, das haͤtte ich thun ſollen; einen<lb/>
Schuß Pulver ſollt' ich an mich wenden, um<lb/>
nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth<lb/>
bin. Die Frau ſtand wie verſteinert, er<lb/>
aber fuhr fort: Du haſt eine große Wahr¬<lb/>
heit geſagt, Hexenmutter! und weil man dich<lb/>
noch nicht erſaͤuft oder verbrannt hat, ſo ſollſt<lb/>
du fuͤr dein Spruͤchlein belohnt werden. Er<lb/>
reichte ihr ein Buͤſel, das man nicht leicht<lb/>
an einen Bettler zu wenden pflegte.</p><lb/><p>Wir waren uͤber die erſte Rheinbruͤcke ge¬<lb/>
kommen und gingen nach dem Wirthshauſe,<lb/>
wo wir einzukehren gedachten, und ich ſuchte<lb/>
ihn auf das vorige Geſpraͤch zuruͤckzufuͤhren,<lb/>
als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad<lb/>
ein ſehr huͤbſches Maͤdchen uns entgegen kam,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">II. 26<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[401/0409]
Er kehrte ſich heftig herum, und ich fuͤrchtete
einen Auftritt. — Haͤngen laſſen! rief er,
mich haͤngen laſſen! Nein das waͤre nicht
gegangen, dazu war ich ein zu braver Kerl;
aber mich haͤngen, mich ſelbſt aufhaͤngen, das
iſt wahr, das haͤtte ich thun ſollen; einen
Schuß Pulver ſollt' ich an mich wenden, um
nicht zu erleben, daß ich keinen mehr werth
bin. Die Frau ſtand wie verſteinert, er
aber fuhr fort: Du haſt eine große Wahr¬
heit geſagt, Hexenmutter! und weil man dich
noch nicht erſaͤuft oder verbrannt hat, ſo ſollſt
du fuͤr dein Spruͤchlein belohnt werden. Er
reichte ihr ein Buͤſel, das man nicht leicht
an einen Bettler zu wenden pflegte.
Wir waren uͤber die erſte Rheinbruͤcke ge¬
kommen und gingen nach dem Wirthshauſe,
wo wir einzukehren gedachten, und ich ſuchte
ihn auf das vorige Geſpraͤch zuruͤckzufuͤhren,
als unerwartet auf dem angenehmen Fußpfad
ein ſehr huͤbſches Maͤdchen uns entgegen kam,
II. 26
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/409>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.